Alltagsrassismus: Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft

29.2.2012 – In Polizeikreisen und Politik sorgt derzeit ein offizieller Kalender des bayerischen Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG) für Diskussionen. Der Kalender, der in einer Auflage von 3.000 Exemplaren an Mitglieder der Gewerkschaft verteilt wurde, zeigt Karikaturen mit teilweise rassistischem Inhalt.

Während der Münchner Polizeipräsident mittlerweile angeordnet hat, den Kalender nicht mehr aufzuhängen und der Polizeiexperte von Amnesty International von „Rassismus“ und „Alltagsdiskriminierung“ spricht, verteidigt die Deutsche Polizeigewerkschaft ihr Druckerzeugnis und pocht auf die Freiheit der Kunst.

„Jetzt spring endlich, Du Idiot“

Seit bereits sechs Jahren bringt der bayerische Landesverband der Deutschen Polizeigewerkschaft regelmäßig einen Kalender heraus. Die insgesamt 3.000 Exemplare werden überwiegend an die bayerischen Mitglieder der Gewerkschaft verteilt. Einige Kalender gehen zudem an befreundete Landesverbände. Auf den einzelnen Monatsblättern des Wandkalenders werden Karikaturen der Polizeihaupt­meisterin Melanie Staab aus Aschaffenburg gezeigt. Die 33-Jährige beschäftigt sich mit Szenen aus dem Polizeialltag und stellt diese auf pointierte Weise dar.

Besonders strittig ist die Illustration auf dem März-Blatt des Kalenders. Hier ist ein schwarzer Mensch mit überzeichneten körperlichen Merkmalen im Polizeigriff zu sehen, der sich mit den Worten „… was heiß’ hie’ Ve’dunklungsgefah’….?!“ zur Wehr setzt. Die Beamtin hinter dem Polizeitresen wirft dem Mann einen abschätzigen Blick zu. Die Zeichnung stellt den Mann als aggressiv und lächerlich dar. Der Text belustigt sich über seine kolportierten Sprachkenntnisse.

Das Januar-Blatt des Kalenders zeigt die „Heiligen Drei Könige“. Hier ist es wiederum ein schwarzer Mensch, der hinter zwei Polizisten kniet und Kamel-Exkremente aufheben muss. Hierzu der Text: „… die Grünanlagenverordnung gilt auch für Weise aus dem Morgenland“. Die August-Karikatur zeigt einen Polizisten, der sich mit den Worten „Jetzt spring‘ endlich, du Idiot, ich hab noch anderes zu tun heut!“ von einem Selbstmörder abwendet, der im Begriff ist, sich von einem Hochhaus zu stürzen. Ein anderes Blatt zeigt junge, sich prügelnde Männer, offensichtlich mit ausländischen Wurzeln. Einer von ihnen sagt angesichts eines „Polizei-Transformers“ in der Szenerie: „Boah… krass… 3ern BMW…!

Kritik und Rechtfertigung

Der Polizeiexperte von Amnesty International, Alexander Bosch, kritisiert, dass es der Deutschen Polizeigewerkschaft in Bayern offensichtlich an Sensibilität fehle, wenn es um Rassismus und Alltagsdiskriminierung gehe:

„Auf diese Weise wird sich der Vorwurf, die deutsche Polizei sei auf dem rechten Auge blind, niemals ausräumen lassen.“

Der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy spricht sich dafür aus, dass die Polizeigewerkschaft den Kalender selber aus dem Verkehr ziehen und sich dafür entschuldigen soll.

Hermann Benker, Chef des bayerischen Landesverbandes der Deutschen Polizeigewerkschaft, fühlt sich zu Unrecht kritisiert und pocht auf die „Kunstfreiheit“. Der Kalender sei nicht rassistisch und auch nicht diskriminierend und in den vergangenen sechs Jahren habe es noch nie Beschwerden hierüber gegeben:

Da steckt nichts dahinter. Es handelt sich lediglich im Polizistenjargon“.

Die Sprecherin der Grünen-Landtagsfraktion in Bayern, Susanna Tausendfreund, setzt dem entgegen, dass, wenn es sich tatsächlich um „Polizistenjargon“ handle, Polizeiführung und Gewerkschaften hinterfragen müssten, wie stark „ein gewisser Alltagsrassismus“ in der Polizei verbreitet sei.

Während der Münchner Polizeipräsident, Dr. Wilhelm Schmidbauer, seine Dienststellen inzwischen angewiesen hat, den Kalender nicht mehr aufzuhängen, da solche Karikaturen einen Geist widerspiegelten, der mit dem Selbstverständnis der Münchner Polizei nicht zu vereinbaren sei, zeigt sich der Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, widerspenstig und bezeichnet den Vorwurf des Alltagsrassismus als „völlig absurd“:

„Das ist ein Kalender, der in humoristischer Weise den Sprachgebrauch und Alltag von Polizistinnen und Polizisten karikiert.“

Bagatelle oder Alltagsrassismus?

Keine Frage: Vor allem die Angehörigen von Berufen, die mit einer größeren Belastung einhergehen, benötigen bestimmte „Ventile“, um Druck abzubauen, sich untereinander zu solidarisieren und ihr psychisches Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Glauben sich Ärzte unter sich und belauscht man deren interne Gespräche im Ärztezimmer, am OP-Tisch oder auf Kongressen, dann kann man durchaus Zweifel an der Ernsthaftigkeit des hippokratischen Eides hegen.

Gleiches gilt für Lehrer, die, wenn sie unter sich sind, über ihre Schüler lästern, für Verkäufer, die sich hinter deren Rücken über ihre Kunden lustig machen oder Call-Center Mitarbeiter, die ihren Unmut über „dumme Anrufer“ mit gehässigen Scherzen bewältigen. Grundsätzlich ist es also sowohl nachvollziehbar als auch normal, wenn Menschen beruflichen Stress abbauen wollen und sich daher untereinander deftiger äußern, als es sich Kunden, Klienten oder Anvertraute wünschen würden.

Die Karikaturen des Kalenders der Deutschen Polizeigewerkschaft gehen in ihrem Inhalt und in ihrer Wirkung allerdings weit über die gewöhnlichen Maßnahmen zum „Stressabbau“ hinaus.

Sie bedienen fremdenfeindliche und diskriminierende Klischees und bestärken Polizeibeamte eher in ihren Vorurteilen, als dass sie dazu taugen, beruflichen Stress zu bewältigen. Bei dem Kalender handelt es sich auch nicht um einen Bestandteil der internen Kommunikation, sondern um ein Erzeugnis, das dazu gedacht ist, aufgehangen und damit öffentlich ausgestellt zu werden.

Man stelle sich vor, wie es einem Menschen zumute ist, der sich, ob freiwillig oder erzwungen, in einer Polizeidienststelle aufhält und dort eine Karikatur erblicken muss, die ihn selber auf rassistische Weise diffamiert. Wie soll er sich den Beamten vertrauensvoll zuwenden, wenn er den Eindruck gewinnen muss, dort massiven Vorurteilen ausgesetzt und der Lächerlichkeit preisgegeben zu sein.

Die Entscheidung den Münchner Polizeipräsidenten, dass Aufhängen des Kalenders in seinen Dienststellen zu verbieten, ist die einzig angemessene Reaktion. Die Deutsche Polizeigewerkschaft täte gut daran, sich seiner Haltung anzuschließen.

Mag sich jeder Polizist, dem die Karikaturen gefallen, in seinen eigenen vier Wänden ihrer Betrachtung hingeben. In einer Polizeidienststelle hat dieser Kalender nichts zu suchen.

140 Kommentare

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140 Antworten zu “Alltagsrassismus: Kalender der Deutschen Polizeigewerkschaft

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  2. Wenn die Polizei „Rassismusvorwürfe ausräumen“ will oder soll, dann klingt das für mich so, wie wenn BP Vorwürfe ausräumen soll, dass ihre Tätigkeiten umweltschädlich sind. Man weiss, es wird schlussendlich gesagt werden, was auch immer man hören will, doch ändert das irgend etwas an den strukturellen Gegebenheiten? Genau diese strukturelle Analyse fehlt nämlich in der Debatte: Hat die Polizei (oder auch das Militär) nicht eine „natürliche Affinität“ zu rechtem Denken? Z.B.Faschisten wollen Authorität/Hierarchie, einen starken Staat und haben eine strenge „wir gegen sie“-Auffassung der Welt; sind das nicht „Qualitäten“ die bei Polizisten ebenfalls alles andere als ein Karrierehindernis sind? Solange man sich darauf beschränkt, Rechtsextremismus als unerklärliche Geistesverwirrung einzelner zu betrachten, und nicht fragt, welche gesellschaftlichen und strukturellen Umstände ihm – auch in den Kasernen – förderlich sind, solange hat man keine Chance in dieser Debatte auf einen grünen Zweig zu gelangen.

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