Gottes Werk und Teufels Beitrag: Abrechnung mit Angela Merkel

01.08.2011 – Die Auseinandersetzung mit amtierenden Vorsitzenden führt man in der CDU traditionell gerne über angriffslustige Artikel in der deutschen Presse. Zuletzt hatte Angela Merkel am 22. Dezember 1999 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung mit dem großen Vorsitzenden Helmut Kohl und der CDU-Spendenaffäre abgerechnet und sich damit selber in Position für den CDU-Vorsitz gebracht.

Gestern erschien ein Artikel von Erwin Teufel in der FAZ. In den über 3000 Wörtern des Beitrags taucht der Name der Kanzlerin nur ein einziges Mal auf. Und doch ist jedem klar, dass es Teufel um eine Abrechnung mit Angela Merkel geht, wenn er seine Gedanken über die CDU unter dem Titel „Ich schweige nicht länger“ veröffentlicht.

Statt auf offensive Kritik und eindeutig adressierte Vorwürfe zu setzen, schildert Teufel die Situation wie sie ist und wie sie sein sollte. Dabei kommt weder die Wirtschaftspolitik noch die Arbeitsmark-, Bildungs- und Erziehungspolitik gut weg. Vor allem vermisst der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg allerdings die christlichen Werte in der Partei und bezichtigt die Union, das „C“ nur noch dem Namen nach im Schilde zu führen.

02.08.2011 Update: Reaktionen auf Erwin Teufels Abrechnung mit Angela Merkel aus den Reihen der Union.

Ein volkstümlicher Landesvater empört sich

Erwin Teufel, Jahrgang 1939, wurde 1964 im Alter von 25 Jahren zum jüngsten Bürgermeister Deutschlands gewählt. 1972 wechselte er als Staatssekretär im Innenministerium in die baden-württembergische Landesregierung. Von 1991 bis 2005 bekleidete er dort bis zu seinem Rücktritt das Amt des Ministerpräsidenten.

Den heutigen Landesvater von Baden-Württemberg, Winfried Kretschmann und seinen Amtsvorgänger Erwin Teufel verbindet die gegenseitige Wertschätzung. Kretschmann zitiert den beliebten Ministerpräsidenten häufig und lässt sich gerne den „grünen Teufel“ nennen. Erwin Teufel hält Kretschmann für einen seriösen Mann und bedauert es, dass es bei den Grünen nicht mehr Kretschmänner und Kretschfrauen gibt.

In Bezug auf seine Beurteilung der CDU gibt sich Erwin Teufel allerdings lange nicht so moderat, wie gegenüber seinem grünen Amtsnachfolger: Die Lage der Partei ist ernst, die Wirtschaft ist unter der jetzigen Regierung zum Selbstzweck verkommen, die christliche Identität der CDU ist verloren gegangen und der Europäische Gedanke ist in Gefahr, weil die Staatschefs das Recht brechen.

Die Lage der CDU ist ernst

Bei der letzten Bundestagswahl 2009 erreichte die Union mit 33,8 Prozent ihr schlechtestes Wahlergebnis seit 1949. Mehr als 1,1 Millionen Stammwähler gaben ihre Stimme der FDP, über eine Million Wähler verzichteten gänzlich auf den Urnengang. Aktuelle Umfragen sehen die CDU/CSU bei 34,5 Prozent, eine Landtagswahl nach der anderen wird darüber hinaus von der Union verloren.

Erwin Teufel bangt um den Status der CDU als Volkspartei, die so stark ist, dass man nicht gegen sie regieren kann. Und er sieht die traditionellen Werte der Partei in Gefahr. Das Bekenntnis zum Christentum, der werteorientierte Konservativismus, das Eintreten für Liberalität, Rechtsstaatlichkeit und soziale Gerechtigkeit und die konsequente Ausrichtung auf die Familie: So beschreibt Teufel das in seinen Augen erhaltenswerte Profil der CDU, mit dem er seinen eigenen Parteieintritt im Alter von 16 Jahren begründet und dass in den letzten Jahren zusehends verloren gegangen ist.

In seinen Augen ist es der Parteiführung nicht gelungen, die zur FDP und in das Lager der Nichtwähler abgewanderten Anhänger zurück zu gewinnen. Seine Erklärung hierfür richtet sich deutlich an die Adresse von Kanzlerin Angela Merkel:

Wer es mit unserer Partei gut meint, folgt nicht blind jedem Kurs und jedem Kurswechsel, sondern bildet sich ein eigenes Urteil.“

Besondere Defizite sieht Teufel in der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Die Wirtschaft ist zum Selbstzweck verkommen. Statt mit einem klaren Profil an einer Steuerstrukturreform zu arbeiten, beschäftigt sich die Partei mit sich selber, statt auf die Reduzierung der Neuverschuldung und eine rasche Schuldentilgung hinzuarbeiten, setzt die Parteiführung auf strategischen Steuererleichterungen.

Neben dem Fehlen einer Strukturreform des Steuersystems kritisiert Teufel, dass die Wirtschaftspolitik der Union es versäumt Arbeitslose in Arbeit zu bringen, jungen Menschen berufliche Perspektiven zu geben und sich für gleich bezahlte Beschäftigungschancen für Frauen einzusetzen. So wie der Mensch das Maß der Wirtschaft sein muss, so soll auch der Mensch und das Wohl aller das Maß der Politik sein.

Insgesamt gelingt es der Union nicht, ihre abgewanderten Stammwähler zurück zu gewinnen. Dabei betrachtet Teufel diese Aufgabe als wesentlich einfacher, als die Gewinnung neuer Wählerschichten. Einen der Hauptgründe für das Versäumnis sieht der ehemalige Landesvater im Verlust der christlichen Identität.

Das „C“ wird nur noch im Schilde geführt

Erwin Teufel macht der CDU eine klare Vorgabe in Sachen christlicher Werte. In seinen Augen stehen für die Zukunft nur zwei Möglichkeiten zur Auswahl: Entweder die Partei orientiert sich künftig wieder am Christentum oder sie gibt es konsequent auf. Das „C“ allerdings weiterhin im Schilde zu führen, ohne sich an den christlichen Grundwerten auszurichten, hält er für unmöglich.

Auch dieser Kritikpunkt wendet sich an die Adresse von Angela Merkel. Zwar hatte die Kanzlerin noch auf dem CDU Parteitag im letzten November ein Bekenntnis zum christlich-konservativ-liberalen Kurs abgegeben und versucht die eher traditionell orientierten Parteimitglieder und Wähler zu einen. Im Rahmen der darauf folgenden Entscheidungen der Tagespolitik war hiervon allerdings nicht mehr viel zu spüren.

Letztlich zeigen die Alleingänge und hektischen Kurswechsel von Angela Merkel, dass sie sich weniger einer traditionell geprägten Linie als den vermeintlichen Sachzwängen von Wirtschafts- und Lobbyinteressen und dem Bemühen um neue Wählerschichten jenseits der Mitte verpflichtet fühlt.

Erwin Teufel sieht hierin wohl eine der Hauptursachen für die fortschreitenden Wählerverluste und fordert eine Konzentration auf die in Vergessenheit geratene Stammwählerschaft. Mit ihrer Stammwählerschaft gehe die CDU um wie mit einer Randgruppe, die nicht mehr mehrheitsfähig ist.

Die Hauptgruppe unserer Wähler und unserer potentiellen Wähler sind nach wie vor Menschen, für die christliche Werte in der Erziehung, in der Familie, im Beruf, in der Politik wichtig sind. Sie sehen sich in ihrem Tun nicht nur in Verantwortung vor den Wählern und Bürgern, sondern auch in einer Letztverantwortung vor Gott. Die Union bleibt nur mehrheitsfähig, wenn sie für Christen, für Konservative, für Liberale und für suchende und offene junge Menschen wählbar bleibt.“

Erziehung, Bildung, Europa und Glaube

Weitere Themen in Teufels Abrechnung mit dem Kurs der Merkel-Union sind die Familien- und Erziehungspolitik, das Eingreifen der Bundesregierung in die Bildungsautonomie der Länder, die Sozial- und Gesundheitspolitik und die Rolle Deutschlands in Bezug auf die Euro-Krise.

Die Kindererziehung erfährt in der Gesellschaft keine Anerkennung, Familien mit einem Normaleinkommen geraten an den Rand des Existenzminimums und das Elterngeld benachteiligt mit den Geringverdienern diejenigen, die eine staatliche Unterstützung am dringendsten benötigen.

Der Bund mischt sich gegen das Föderalismusgebot der Verfassung in die Bildungspolitik der Länder ein, plant die Auflösung der Hauptschulen, die in Teufels Augen in Kombination mit der Berufsschule als wichtige Stütze des Bildungssystems gesehen werden müssen und versäumt wichtige Schritte in Sachen Integration und Sprachförderung.

Harsche Kritik äußert Erwin Teufel in Bezug auf die aktuelle Europa-Politik. Den maßgeblichen Staats- und Regierungschefs – hierzu zählt vor allem auch Angela Merkel – wirft er Rechtsbruch vor:

Wie soll man von den Bürgern Rechtstreue verlangen, wenn sich ihre Staats- und Regierungschefs nicht an das Recht und an abgeschlossene Verträge halten?“

Insgesamt zeichnet Teufel ein Bild der Gesellschaft, das vor allem von Angst, Unsicherheit und Vereinsamung gekennzeichnet ist. In seinen Augen wäre es die Aufgabe der CDU, sich auf ihre christlichen Grundwerte zu besinnen und einen gesellschaftlichen Gegenentwurf anzubieten, der sich am Schicksal der Menschen und nicht an wirtschaftlichen Sachzwängen, der kalten Verwaltung von Armut und dem wahlstrategischen Kalkül orientiert. Doch genau hierzu scheint Angela Merkel nicht in der Lage zu sein.

Ist die Katze au dem Haus, brodelt es in der Union

Teufels Kritik stößt in der Union auf offene Ohren. Sowohl vor als auch nach dem Erscheinen seines Artikels in der FAZ haben sich viele prominente Politiker zu Wort gemeldet und den Kurs von Angela Merkel deutlich in Frage gestellt.

So warnt Friedrich Merz, ehemaliger Fraktionschef, davor, dass die CDU ihre Stammwähler verliert. Angesichts des schlechten Abschneidens der Partei bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg hatte Merz bereits die Wende der Kanzlerin in der Atompolitik kritisiert.

Auch Kurt Biedenkopf, langjähriger Ministerpräsident von Sachsen, kritisierte kürzlich die Atomwende und bezeichnete Merkels Kurs gegenüber der ZEIT als ein „politisches Abenteuer“. Und Volker Rühe monierte als ehemaliger Verteidigungsminister den umstrittenen Panzerdeal mit Saudi-Arabien und forderte, dass Geschäft müsse gestoppt werden.

Mike Mohring, Fraktionschef im Thüringer Landtag, verlangt von der Parteispitze, dass sich die CDU wieder mehr um die Gruppe der Stammwähler bemühen muss. Volker Bouffier, Ministerpräsident von Hessen und Nachfolger des Merkel-Kritikers Roland Koch legt nach, dass die Union ihre Europapolitik besser erklären müsse und warnt vor dem Vertrauensverlust, der mit einem Europa der „Geheimdiplomatie“ einhergeht.

Erwin Teufel verweist deutlich darauf, dass er bei weitem nicht der Einzige ist, der sich Sorgen über den Zustand der CDU macht. Fünf Jahre lang habe er geschwiegen, jetzt sei der Union mehr damit gedient, wenn „man den Mund aufmacht“.

Angela Merkel selber hatte sich vor wenigen Tagen noch mit der vollmundigen Aussage in die Sommerpause verabschiedet, Deutschland gehe es so gut wie lange nicht. An ihrer Entschlossenheit, die Union auch 2013 als Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf zu führen, hatte sie keinen Zweifel aufkommen lassen.

Ob Merkel angesichts der massiven Kritik aus den eigenen Reihen ebenso fröhlich und zuversichtlich aus den Sommerferien zurückkehren wird, ist unklar. Nachdem man die Kanzlerin in den vergangenen Wochen und Monaten angesichts der vielen tagespolitischen Probleme und Aufgaben, eher mit Samthandschuhen angefasst hatte, dürfte die Schonzeit mittlerweile vorbei sein. Merkel wird sich der Kritik stellen müssen. Mit halbherzigen Lippenbekenntnissen wie im vergangenen November ist es diesmal nicht getan.

12 Kommentare

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12 Antworten zu “Gottes Werk und Teufels Beitrag: Abrechnung mit Angela Merkel

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  2. hunsrückbäuerlein

    feiges Pack, statt der Chefin dirket die Meinung zu sagen, heben die Herren liebr das Bein und pinkeln sie an, hurra bravo, genau da läßt die Bevölkerung in Politikerverdrossenheit dahin darben, nicht zu vergessen mit Politikverdrossenheit, die hat die Politik weitgehend beseitigt dank ihrer spekatkulären Harakiri-Kämpfer Guttenplag, Vroniplag u.a.
    Merkel muß weg und Merkel wird weg! Doch was danach kommt ist wahrscheinlich auch nur Dreck! Am besten wählen wir alle gleich Besen und Schaufel und bestellen die Müllabfuhr.

  3. Alles Polittheater. Merkel hat ihre Schuldigkeit getan. Die Merkel kann gehen. Der Nachfolger, ob SPD oder CDU wird genau da weitergehen. Soziale Euthanasie in Deutschland für die Massen und möglicherweise eine Beteiligung an weltweiten Kriegen.

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  5. Ich finde sie kommt hier viel zu gut weg 🙂 und stimme EuroTanic zu.

  6. Thomas

    Und weil das Internet sowas kennt, gibts hier mal den Link zur dokumetierten Rede in der faz:

    http://www.faz.net/artikel/C30923/erwin-teufel-ich-schweige-nicht-laenger-30476693.html

  7. ollieswelt

    Die CDU auf dem Weg zur Splitterpartei ? Schee wärs… 😉

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  10. River runs Red

    Alle Parteien müssen weg,einführung einer direkten Demokratie,das ist im Zeitalter des Internets gar kein Problem.Das wir das nicht haben, sagt einem schon, wo hin wir uns unsere Demokratie stecken können.
    Aber Fr. Merkel sagte ja bereits das wir auf Demokratie ja ohnehin kein Rechtsanspruch haben,also ist diese Diskussion obsolet.Eu-Diktatur wir kommen,schöne neue Welt.George Orwell stände der Angstschweiss auf der Stirn ,könnte er die heutige Zeit sehen….

  11. Spade

    In schweren Zeiten der Kirche und zunehmender Atheisierung tut die CDU womöglich ganz gut damit, nicht mehr ganz so stark ihr C hervorzuheben 😉

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