Merkel bei Jauch: Die ARD probt Staatsfernsehen

26.09.2011 – Seit gestern Abend wissen gut vier Millionen deutsche Fernsehzuschauer, wie sich Staatsfernsehen anfühlt. Wer bei Günther Jauch mit einer Gesprächsrunde zum Papstbesuch mit Thomas Gottschalk gerechnet hatte, der sah sich getäuscht.

Spontan lud sich „Mutti“ stattdessen selber bei Deutschlands beliebtestem Schwiegersohn ein und einmütig präsentierten beide 60 lange Minuten eine Dauerwerbesendung unter dem apokalyptischen Titel „Kampf um den Euro“.

Was auf den ersten Blick wie die offizielle Eröffnung des Wahlkampfes 2013 wirkte, zeigt auf den zweiten Blick, in welch desaströser Situation sich Kanzlerin und schwarz-gelbe Regierung befinden müssen. Wenn sich Angela Merkel, die öffentliche Auftritte vor allzu breitem Publikum sonst konsequent vermeidet, ausgerechnet von einem Boulevard-Talker eine volle Stunde lang befragen lässt, dann muss die Lage wohl ernst sein.

Scripted Reality auf Augenhöhe mit dem Wahlvolk

Die folgende Sendung wird Ihnen präsentiert: Von der Deutschen Bank“. Diesen Einspieler hätte man erwarten können, doch er blieb aus. Stattdessen zeigte die ARD einen nervösen Günther Jauch im glänzenden dunklen Zwirn, der seine Sendung und ihren hohen Gast selber anmoderierte. Mit dem unbeholfenen Griff zum Sissi-Vergleich (Schicksalsjahre einer Kaiserin) erstickte Jauch aufkeimende Erwartungen noch vor Beginn des eigentlichen Gesprächs und stellte klar, was den Zuschauer in der nächsten Stunde erwarten würde: Eine romantisch verklärte Regierungserklärung mit wenig Substanz und umso mehr Weichspüler.

Nächste Einstellung: Angela Merkel im vertrauensbildenden blauen Blazer, das Gesicht auf frisch und souverän geschminkt, die Beine locker übereinander geschlagen, im beigen Ledersessel an der Seite von Günther Jauch. Dieser mit einem Stapel Moderationskärtchen bewaffnet und eine devote Unsicherheit ausstrahlend, die darüber hinwegtäuscht, dass seine Produktionsfirma i&u TV pro Sendeminute ein Honorar in Höhe von 4.487,18 Euro einstreicht. Pro Sendung ist das mehr, als die Kanzlerin in einem ganzen Jahr verdient.

Nach den ersten beiden Ausgaben von „Günther Jauch“ auf dem früheren Sendeplatz von Anne Will sind die Erwartungen nicht sonderlich hoch. Jauch führt keine Diskussionen sondern verteilt mit dem Gerechtigkeitssinn des routinierten Rateonkels Sprechminuten unter seinen Gästen. Aufkeimende Kontroversen werden dabei unterdrückt, kritische Fragen oder die Aufdeckung von Wiedersprüchen bleiben aus.

Die „Tanzkarte“ von Günther Jauch dürfte gut gefüllt sein. Deutschlands Politik-Darsteller wissen das neue Format bereits jetzt zu schätzen und versuchen einen Platz in der Sendung zu ergattern, die sich wie keine andere anbietet, um unwidersprochen Phrasen zu dreschen, sich öffentlichkeitswirksam in Szene zu setzen und ausgiebig Selbstdarstellung zu betreiben.

Kein Wunder, dass dieses Sendekonzept in Zeiten von Machtverlust und Regierungs-Desaster auch der Kanzlerin attraktiv erscheint. Kurzerhand lässt sie per Telefon mitteilen, dass sie für einen Auftritt zur Verfügung steht und kurzerhand werden die ursprünglichen Gäste, die eigentlich über den Papstbesuch sprechen sollten, ausgeladen.

Mutti und der ideale Schwiegersohn erklären den Euro

Man erlebt nun über 60 Minuten ein artiges Frage- und Antwortspiel. Jauch liefert die freundlichen Vorlagen und Merkel pariert in bester Drehbuchmanier mit den üblichen, nichtssagenden Worthülsen: Ihr geht es gut, sie hat die Dinge fest im Griff, ihre Euro-Politik dient dem Wohle Deutschlands, sie handelt aus tiefem Verantwortungsbewusstsein heraus und vertraut im Zweifelsfall auf Gott.

Ein liebenswürdiges Publikum quittiert jede noch so belanglose Sprechblase mit freundlichem Applaus und der Moderator setzt nur von Zeit zu Zeit seinen einstudierten dümmlichen Blick auf, um der Kanzlerin mit einer scheinkritischen Frage die nächste Vorlage für ein weiteres, nach Beifall heischendes Statement zu liefern.

Man erlebt eine endlos lange Regierungserklärung auf Augenhöhe mit dem Volk, erhält eine weitere Lektion in Sachen Alternativlosigkeit merkelscher Politik und erfährt nebenbei so überraschende Dinge wie dass sich die schwarz-gelbe Koalition in einer „sehr schwierigen, komplizierten Lage“ befindet, dass „die Gemeinsamkeiten mit der FDP größer sind, als sie mit den Sozialdemokraten waren“ oder dass die spätere FDJ Sekretärin für Agitation und Propaganda Angela Merkel in ihrer Kindheit Trost im Elternhaus fand, wenn sie in der Schule sozialistischer Indoktrination ausgesetzt war.

Über eine Vertrauensfrage am kommenden Donnerstag, wenn im Bundestag über den EFSF-Fonds abgestimmt wird, denkt die Kanzlerin übrigens nicht nach. Schließlich geht es hier um die Sache und nicht um ihre Person.

Mutti und der ideale Schwiegersohn erklären dem dummen Wähler gemeinsam die „Euro-Rettung“. Fragen danach, wer eigentlich die Milliardenbeträge aus den europäischen Maßnahmen erhält, wie der dramatische Sozialabbau in den verschuldeten Euro-Ländern zu verantworten ist oder wer von den zunehmenden Privatisierungen in den betroffenen Staaten profitiert, werden im Rahmen der durchgängig gescripteten Sendung ausgespart.

Schließlich kennt man sich bereits aus dem gemeinsamen Engagement für das Berliner Volksbegehren „Pro Reli“ und kann sich fest aufeinander verlassen. Für den Zuschauer präsentierte sich das Spektakel im Gasometer als belanglose Werbeveranstaltung auf Kosten des Gebührenzahlers, für die Kanzlerin inszenierte Jauch einen Wellness-Kurzurlaub gegen Hypertonie.

 

22 Kommentare

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22 Antworten zu “Merkel bei Jauch: Die ARD probt Staatsfernsehen

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  2. Hat denn im Ernst irgendjemand etwas Anderes erwartet? Die Regierungspropagandasender ARD und ZDF unterscheiden sich von den Privaten mittlerweile nur noch dadurch, dass sie Gebühren kosten und nach außen hin weniger Unterschichten-Formate anbieten.
    Egal, was dort auf dem Programm steht: Der Zuschauer wird belogen, was das Zeug hält. Immer nach dem Motto: Gucken, Konsumieren, Klappe halten. Ob es sich um den angeblich humanitären Angriffskrieg gegen Libyen handelt oder um die jüngste angeblich strahlungsfreie Explosion in einem französischen AKW – jeder, der sich neutral und alternativ über das Internet zu informieren weiß, kann schnell nachprüfen, wie hoch der Wahrheitsgehalt der Öffentlich-Rechtlichen Nachrichten ist: nahe Null.

    • Anonymous

      Recht haste .

      Aber das „lustige“ an der Sache ist , das der deutsche Bürger nicht mal den Mut hat und Merkel die Stirn zeigt und seinen Unmut mit Geleichgesinnten öffentlich macht . Mal vom dicken Gabriel abgesehen, der aber auch nur sein eigenes Süppchen kocht und es auch nicht besser kann .

      Es scheint wohl so zu sein , das Alle gegen Merkel und Ihr Kasperkabinet sind , aber keiner handelt.

      Und wenn Deutschland ( oh Entschuldigung , gemeint ist ja das Sprachrohr für Alle Deutschen Bürgergenannt MERKEL !!! ) weiter am Euro festhält , werden wir bald den Absturz erleben .

      Deshalb weg mit dem Euro und laßt uns wieder die D-Mark haben , weg mit Merkel und Co , denn wenn Wir Mistbock bauen wollen , brauchen wir keine Vormacher , das schaffen wir auch alleine .

      • Schon vergessen? Die D-Mark kam, nachdem „Wir“ Mistbock gebaut hatten. Soviel schaffen die paar Griechen nie. Ist ja immer zu warm da. Marschiert doch nie im Winter gen Moskau, der Grieche. Wartet aber noch auf die Entschädigungen durch die dt. Mörderbande. Den aktuellen Rechtsnachfolger also.
        Wer hat denn die Kohle nach GR geschaufelt und warum? Wenn ICH aus der Spielbank komme, da spannt doch auch niemand einen Schirm. Was interessieren mich die Aktionärsbanden?

  3. I.

    Vor allen Dingen antwortete sie auf die Frage, ob sie ihre Euro/pa/politik auch trotz Ablehnung in der Bevölkerung führen wolle, mit einem eindeutigen: JA!

    • Ja, das war mir auch unangenehm aufgefallen und lässt tiefe Rückschlüsse auf das innere Demokratieverständnis der Kanzlerin zu. Ein weiterer Aspekt im Gesprächsverlauf, der von Jauch weder hinterfragt noch kommentiert wurde.

      • I.

        Das eigentliche Problem hinter dieser Farce ist das Schüren der Angst in der Bevölkerung vor dem Ungewissen und damit der Zustimmung zur Euro-Rettung bzw. Bankenrettung (denn um nichts anderes handelt es sich).

        Die Bevölkerung wird jetzt darauf vorbereitet, dass das Grundgesetz geändert werden muss, um D. zu einem Bundesstaat einer Europäischen Union zu machen, welche nach wie vor kein demokratisch legitimiertes Völkerrechtssubjekt ist (siehe http://www.hdg.de/lemo/html/ereignischroniken/europaeischeGemeinschaft/index.html), sondern ein Wirtschaftsverband.

        Diese Änderung des GG ist jetzt nach dem „Urteil“ des BverfG in aller Munde, nichts zuletzt durch Hr. Voßkuhle selbst. In aller Öffentlichkeit wird dem Grundgesetzunkundigen scheinheilig erklärt, es bedürfe bloß einer kleinen Ändern des Art. 79 GG und gleichzeitig wird ihm verschwiegen, dass er dazu geändert werden muss hinsichtlich seiner Bestimmungen zu Art. 20 GG, welcher die demokratische Souveränität vorschreibt und Art. 1 Abs. 3 GG, die Unterwerfung der öffentlcihen Gewalt unter die Grundrechte – das Fazit ist die Löschung der Demokratieformel und damit ist das GG hinfällig. Garniert wird das Ganze mit einer Volksabstimmung gemäß Art. 146 GG mit dem Zweck, dass nach dieser Änderung das dann alte Grundgesetz nicht mehr gilt, da es nun als neue Verfassung verkauft wird und aus seinem (zukünftigen) Wortlaut alles gestrichen werden kann, was bisher sein Inhalt ausmachte.

        Wir gehen juristisch auf eine Diktatur zu und Fr. Merkel weiß sehr wohl, was auf dem Spiel steht. Sie hatte schon einmal ein gutes Händchen bei der Unterstützung des Ausverkaufs eines Landes.

    • Es wird ja auch ein Krieg in Afghanistan geführt, obwohl sich eine breite Mehrheit in Deutschland dagegen ausspricht.

      • Das konkrete sich gegen etwas Aussprechen geht leider viel zu oft in der Flut täglicher Themen und in der allgemeinen Unzufriedenheit und Verdrossenheit der Menschen unter. Ungeheuerlichkeiten in der Politik haben eine Halbwertzeit von wenigen Tagen und werden dann von einem noch größeren Skandal, einem medial gepushten Ereignis und manchmal auch nur vom Einzug eines D-Promis ins Big-Brother-Haus überdeckt.

        Begründete Kritik stößt auf lakonische Zustimmung quer durch alle politischen Lager und in der nächsten Minute beschäftigt sich doch jeder wieder nur mit seinem eigenen, kleinen Universum. Für mich ein Zeichen für eine tief empfundene und lange einstudierte Machtlosigkeit, die uns „alternativlos“ erscheint.

      • Anonymous

        Und wo ist diese Mehrheit? warum wirft man die Merkel samt Kaspervereinigung genannt CDU nicht aus dem Land ??

  4. Mist – und ausgerechnet das hab ich verpasst. Ich hatte allerdings auch schon vor Jahren ein Problem mit den Rede-Duellen der Kanzlerkandidaten. Das kam mir auch immer schon reichlich unecht vor.

  5. In 3sat steht noch bis So, 2.10, das neue Programm vom Georg Schramm online. Besser als Saftsack TV.

  6. Hardy

    Am besten diesen Mist nicht anschauen, Unterhalten kommt von Unten halten!

  7. Pingback: Merkel bei Jauch: Die ARD probt Staatsfernsehen « Politik Blog von Jacob Jung « Mittelwächter.

  8. feydbraybrook

    …und das alles beworben auf der Online-Präsenz der Tagesschau. Aber nicht als Werbung gekennzeichnet, sondern als Top-News verkauft. Widerlich.

    http://feydbraybrook.wordpress.com/

  9. Pingback: Was uns bewegt!: Hornbach, Bloggertreffen und eine Talkshow « Kompass

  10. Och, so langsam wird der Protest gegen solche Veranstaltungen ja lauter. Gut Ding will Weile haben …

  11. Otto Normalverbraucher

    Komisch … Alle wissen , das Merkel und Co die Karre genannt Deutschland mit Vollgas in den den Graben fahren . Aber keiner geht auf die Strasse und macht seinen Unmut über den Hosenanzug Luft und Ihren Kasperverein genannt Kabinett ein Ende .

    Wollen wir mal wieder auf „“Hilfe““ eines Österreichers warten ???

  12. Pingback: Sahra Wagenknecht zum ESFS: „Ökonomischer Aberwitz“ « Politik Blog von Jacob Jung

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