Pharmaskandal: Illegaler Handel mit Rezeptdaten

12.2.2012 – Nach einem Bericht des „Spiegel“ zeichnet sich in Deutschland einer der größten Datenskandale ab, in den die Gesundheitsbranche jemals verwickelt war. Ein Unternehmen aus der Nähe von Dachau soll über Jahre nicht anonymisierte Rezeptdaten an Pharma-Unternehmen verkauft haben.

Solche Daten erlauben es der Pharmaindustrie nachzuvollziehen, welche Praxis welche Medikamente an welche Patienten verschrieben hat. So haben die Unternehmen die Möglichkeit, das Verschreibungsverhalten von Ärzten zu überprüfen und ihre Werbe- und Vertriebsstrategien darauf abzustimmen.

 

Die Unabhängigkeit der Ärzte

Wer den Arzt seines Vertrauens aufsucht, der verlässt sich darauf, dass ihm ausschließlich die Medikamente verordnet werden, die nach fachlicher Abwägung am besten für ihn geeignet und nach wirtschaftlicher Abwägung möglichst kostenschonend für das Gesundheitssystem sind. Insider berichten allerdings schon seit Jahren darüber, dass Pharmakonzerne erheblichen Einfluss auf Ärzte nehmen, um sie dazu zu bewegen, möglichst häufig die eigenen Präparate zu verordnen.

Um Ärzten einen attraktiven Anreiz dafür zu geben, im Sinne der Pharma-Unternehmen zu verschreiben, ist die Rede von Einladungen zu exklusiven Ärztekongressen auf allen Kontinenten, von lukrativen Beraterverträgen oder von anderen Incentives mit hohem Wert.

Bislang konnten Ärzte diesen Vorwurf mit dem Verweis darauf entkräften, dass es für Pharma-Unternehmen nicht nachvollziehbar sei, welche Medikamente der Arzt tatsächlich verschrieben hat. Wenn sich die Recherchen des „Spiegel“ jedoch bestätigen, dann wird dieses Argument künftig nicht mehr verfangen.

Erfolgskontrolle für die Pharmaindustrie

Der Spiegel berichtet in diesem Zusammenhang von der eidesstaatlichen Erklärung eines ehemaligen IT-Managers des Karlsfelder Unternehmens pharmafakt. Dieser berichtet darüber, dass in dem Unternehmen über Jahre Rezeptdaten in unverschlüsselter und nicht anonymisierter Form gesammelt, gespeichert und an Pharma-Unternehmen verkauft worden seien.

Zum Hintergrund: Die Gesellschafter der Firma pharmafakt sind die Apothekenverbände Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen sowie das größte deutsche Apothekenrechenzentrum, die VSA GmbH in München. Alleine die VSA GmbH bearbeitet pro Jahr mehr als 120 Millionen Rezepte und leitet die dabei erhoben Daten an die Firma pharmafakt weiter.

Die Rezeptdaten der Apothekenverbände und der VSA GmbH werden von pharmafakt anonymisiert und in Form von Auswertungen und Berichten an die Pharma-Unternehmen weitergeleitet. Diese nutzen die Daten, um beispielsweise den Erfolg von Werbekampagnen zu messen. Dieses Geschäftsmodell wird auf der Internetseite der Firma pharmafakt als „datengestütztes Pharma-Consulting“ bezeichnet und ist genau solange legal, wie die Daten ausschließlich in anonymisierter Form übermittelt werden. Dies bedeutet, dass weder der Name des verschreibenden Arztes noch der Name des Patienten gespeichert und an die Pharma-Unternehmen weitergegeben werden dürfen.

Nicht legal wäre es jedoch, wenn sich die Rezeptdaten durch die Pharma-Unternehmen bestimmten Arztpraxen und Patienten zuordnen lassen. Genau dies besagt allerdings die Erklärung des ehemaligen IT-Managers, der damit sowohl die Firma pharmafakt als auch die Pharmaindustrie schwer beschuldigt.

Strenger Datenschutz für Rezeptdaten

Bestätigen sich diese Vorwürfe, dann droht der Gesundheitsbranche einer der größten Skandale ihrer Geschichte. Nach eigenen Angaben hat die Firma pharmafakt Zugriff auf über „50 Prozent der Verordner, Apotheken und Patienten“. Mit anderen Worten: Mehr als die Hälfte der deutschen Patienten wäre von dem illegalen Geschäftsmodell betroffen.

Die Auswirkungen in der Praxis wären dabei erheblich. Ein Pharma-Unternehmen, das exakt nachvollziehen kann, ob und in welcher Menge ein Arzt Medikamente dieses Anbieters verschrieben hat, wäre in der Lage, diesen Arzt gezielt für sein Verschreibungsverhalten zu belohnen.

Im Gegenzug gäbe es für Ärzte einen sehr lukrativen Anreiz, bestimmte Medikamente vor allem wegen der Aussicht auf eine interessante Prämie, auf eine Einladung zu einem attraktiven Kongress, auf einen lohnenden Beratervertrag oder eine andere Form der Vergütung zu verschreiben. Ob es sich dabei für den Patienten um das bestmögliche Medikament handelt oder ob deutlich teurer ist, als ein vergleichbares anderes Präparat, könnte dann bei der ärztlichen Entscheidung eine untergeordnete Rolle spielen.

Natürlich sollte man davon ausgehen, dass ein Großteil der deutschen Ärzte eine solche Verschreibungspraxis ablehnt und sie nicht mit dem gebotenen Berufsethos in Einklang bringen kann. Andererseits genügt aber bereits eine vergleichbar kleine Anzahl an Ärzten, die sich durch die Pharma-Unternehmen korrumpieren lassen, um ernsthaften Schaden gegenüber den Patienten und dem Gesundheitssystem anzurichten.

In jedem Fall muss man bei der Bewertung der Vorwürfe berücksichtigen, dass erfolgreiche und namhafte Pharma-Unternehmen wohl kaum den finanziellen Aufwand und das Risiko illegaler Machenschaften auf sich nehmen würden, wenn nicht ein angemessener Nutzen damit verbunden wäre.

Rezeptdaten fallen in Deutschland unter den Datenschutz. Deshalb wurde im Sozialgesetzbuch ein strenger Schutz vor Datendiebstahl und Datenhehlerei mit ärztlichen Rezepten aufgebaut. Verstöße werden mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe geahndet.

Dr. Thilo Weichert, Leiter des Unabhängigen Datenschutzzentrums Schleswig Holstein in Kiel, sagte dem Spiegel:

„Die Unterlagen, die uns in Auszügen zugespielt wurden, scheinen valide zu sein. Sie könnten einen der größten Datenskandale der Bundesrepublik im Medizinbereich aufdecken.“


17 Kommentare

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17 Antworten zu “Pharmaskandal: Illegaler Handel mit Rezeptdaten

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  2. Wulffen ist im Umfeld der Pharmalobby ein beliebter Volksport.
    Der Illegale Handel mit Rezeptdaten scheint nur die logische Konsequenz zu sein.
    Ein Grund mehr die elektronische Gesundheitskarte abzulehnen.
    http://www.ccc.de/de/updates/2008/egk-verzoegern

  3. Katja

    Warum sollte es ausgerechnet auf dem Gebiet der Gesundheit anders sein als im Rest der BRD? Die Gesundheit ist in diesem Land zur Handelsware geworden, klar, dass die Pharma-Löwen
    um den Absatz besorgt sind und sich nicht scheuen, dabei auch gesetzliche Grenzen zu überschreiten, um Gewinn zu machen. Wirtschaftsstandort Deutschland, hurra! Wenn an der Börse schon um den Tod von Versicherten gezockt wird …

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  5. Paul

    Der Skandal ist, dass hier treuhänderisch verwaltete Abrechnungsdaten ohne Zustimmung der Beteiligten Patienten, Ärzte und Apotheken verkauft werden. Völlig unabhängig von Anonymisierung oder nicht ist das übelster Missbrauch.

  6. Peter Petereit

    Die Pharmamafia geht einfach mit der Zeit und nutzt jede Gelegenheit, Profite zu maximieren. Ich erinnere mich, frühe 90er, mangels anerkanntem Studienabschluß jobbte ich als „Pförtner“ bei einem Pharmagroßhändler, der sich grad ein neues Verteilzentum einrichtete.
    Jeden Morgen verließ eine „Drückerkolonne“ besonderer Art das Gelände, gebildete Leute, fein gekleidet, die neutralen Firmenwagen vollgepackt mit Gratisproben von Medikamenten aller Art und Werbegeschenken einer Art, wie man sie heute wohl nicht mehr kennt. Und „besuchte“ flächendeckend die Ärzte im Einzugsgebiet…
    Das dürfen die wohl nicht mehr in dieser Form. Also: Siehe oben.

  7. Susan

    Das ist doch schon immer so usus. Ich habe mal (als Leiharbeiterin) in einer Pharmaberatungsfirma gearbeitet. Die haben mir erklärt, dass überall nachvollziehbar ist, welches Medikament von wem für jemanden verschrieben worden ist. Darauf basiert das Honorar z.B. der Pharmareferenten, die durch die Ärzteschaft ziehen und Medikamente anpreisen.

  8. piet

    @petereit – Ja, die sog. Pharmareferenten waren schon legendär. Wenn sich Arzt und Referent diskret ins Separee verabschiedeten und Hr., Doktor nachher leuchtende Augen hatte.

  9. Alleine die Tatsache, dass man den (wie im Artikel beschrieben) Unternehmen über Jahre gestatte Rezept-Daten in unverschlüsselter und nicht anonymisierter Form zu sammeln, hat man billigend den Missbrauch in kauf genommen. Diese halbgaren und löchrigen Gesetze (die zum Teil von den Unternehmen selbst geschrieben werden) finden wir in nahe zu allen Bereichen. Mir scheint das ist schon der bittere Beigeschmack auf der sogenannten und von Merkel herbei beschworenen „marktkonforme Demokratie“. (ups, bei dem Wort bekomme ich immer so ein würgen im Rachen) 😦

  10. marte

    …abschaffen – alle Pharmavertreter. verbieten – per Gesetz!
    anders gehts nicht!
    gruß M

  11. fischi

    So ist der Kapitalismus!
    Alles aber auch alles mit was man Geld machen kann ist erlaubt.

    • K.S.

      Vielen Dank für den Link. Ich habe so einen ewig gesucht, dann in den Medien nicht mehr viel von der elektronischen Gesundheitskarte gehört und nicht mehr so oft dran gedacht. Allerdings habe ich irgendwo einen Aufruf gelesen, dass, wenn man in eine Praxis geht, sofort schriftlich hinterlässt, mit einer Weitergabe der Daten nicht einverstanden zu sein.

      Sieht natürlich komisch aus und man macht sich vielleicht gleich unbeliebt, – auch wenn man fragt, was mit den Daten passiert – aber da muss „man“ durch, wenn es um Datenschutz und Sicherheit geht.
      Also Kragen hoch, Augen auf und durch.

      • Anonymous

        Hallo K.S.
        Das Dokument kann hier runtergeladen werden: http://www.stoppt-die-e-card.de/index.php?serendipity%5Bsubpage%5D=downloadmanager&thiscat=2&file=41

        Datenschutzverfügung für Patienten

        Hiermit nehme ich mein Grundrecht auf informationelle
        Selbstbestimmung wahr. Ich widerspreche der geplanten
        Speicherung von Gesundheitsdaten in zentralen
        Großcomputern außerhalb von Arztpraxen oder
        Krankenhäusern.
        Ich bitte Sie, meine medizinischen Daten außer zur
        Abrechnung nur zum Zwecke meiner Behandlung an einen
        anderen Arzt/ Ärztin bzw. ein Krankenhaus weiterzuleiten.
        Jede anderweitige Verwendung sehe ich als Verletzung der
        ärztlichen Schweigepflicht an.

        Name, Anschrift, Unterschrift, Datum

      • Margareth Gorges

        Hallo K.S. Das Dokument kann hier runtergeladen werden: http://www.stoppt-die-e-card.de/index.php?serendipity%5Bsubpage%5D=downloadmanager&thiscat=2&file=41

        Datenschutzverfügung für Patienten

        Hiermit nehme ich mein Grundrecht auf informationelle
        Selbstbestimmung wahr. Ich widerspreche der geplanten
        Speicherung von Gesundheitsdaten in zentralen
        Großcomputern außerhalb von Arztpraxen oder
        Krankenhäusern.
        Ich bitte Sie, meine medizinischen Daten außer zur
        Abrechnung nur zum Zwecke meiner Behandlung an einen
        anderen Arzt/ Ärztin bzw. ein Krankenhaus weiterzuleiten.
        Jede anderweitige Verwendung sehe ich als Verletzung der
        ärztlichen Schweigepflicht an.

        Name, Anschrift, Unterschrift, Datum

  12. Pingback: Jacobs Woche (12.2. – 18.2.2012) | Jacob Jung Blog

  13. ich möchte an dieser Stelle hinzufügen, dass die neue s.g. Gesundheitskarte mit all dem was darauf gespeichert wird ( in gewissem Sinne auch eine elektronische Gesundheitsakte ) dann sicherlich in nicht allzu weiter Ferne dem Fass den Boden ausschlagen wird. Je intensiver die Beteuerung, wie ernst dabei der Datenschutz genommen wird, um so sicherer könnt ihr euch sein, dass google demnächst all eure internistischen Daten haben wird. Ihr werdet es daran erkennen, dass die auf euch zugeschnittene Werbung stets genau zu eurem aktuellen Krankheitsbild passt.

    Vielleicht lässt sich so eine elektronische Krankenakte ja auch zu Zwecken der Rasterfahndung verwenden. So gilt es z.B. bereits jetzt als wissenschaftlich erwiesen, dass gehäuftes Auftreten von Influenza während der Fastenzeit die kriminelle Hemschwelle auf 37% reduziert. Verschafft euch für diese Zeiten in jedem Fall prophylaktisch stets ein gutes Alibi.

    😉

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