Hier riecht’s nach Gauck

17.2.2012 – Das deutsche Wintermärchen ist vorbei. Was Medien, Bevölkerung, Vernunft und Anstand in Monaten nicht erreichen konnten, hat die Staatsanwaltschaft mit einem kurzen „Wuff“ bewerkstelligt: Nachdem sie Ermittlungen eingeleitet und die Aufhebung seiner Immunität beantragt hat, ist Christian Wulff heute vom Amt des Bundespräsidenten zurückgetreten.

Die Kanzlerin geniert sich nicht lange dafür, dass sie uns innerhalb von 20 Monaten bereits das dritte Staatsoberhaupt vor die Nase setzen wird. Kaum hat sie ihr „tiefes Bedauern“ über das politische Ableben ihres ehemaligen Wunschkandidaten zum Ausdruck gebracht, da stellt sie bereits in Aussicht, dass der elfte Bundespräsident in enger Abstimmung mit SPD und Grünen ausgesucht werden soll. Das riecht nach Gauck.

Eierlegende Wollmilchsau

Joachim Gauck bezeichnet sich selber als linken, liberalen, konservativen, aufgeklärten Patrioten. Frei nach Goethes Faust, in dessen Vorspiel der am wirtschaftlichen Erfolg interessierte Theaterdirektor seinem Dichter mit auf den Weg gibt:

Die Masse könnt Ihr nur durch Masse zwingen,
Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.

Die Beliebigkeit, mit der Gauck bereits bei der letzten Wahl zum Bundespräsidenten der Kandidat fast aller politischen Lager hätte werden können, zeigt sich vor allem darin, dass er bereits 1999 als mögliches Staatsoberhaupt im Gespräch war. Damals allerdings innerhalb der CDU.

Der Neutralitätsbegriff von Joachim Gauck  manifestiert sich nicht in einem „Ich stehe über allem“ sondern „Ich kann mit allen“. Wirklich mit allen? Nicht ganz, denn mit der Linkspartei steht der Pfarrer und DDR-Bürgerrechtler auf dem Kriegsfuß. Deren Überwachung durch den Verfassungsschutz wurde von Gauck im Sommer 2010 deutlich unterstützt:

„Wenn der Verfassungsschutz bestimmte Personen oder Gruppen innerhalb dieser Partei observiert, wird es dafür Gründe geben. Er ist nicht eine Vereinigung von Leuten, die neben unserem Rechtsstaat existiert und Linke verfolgt.“

Während seiner Amtszeit als Beauftragter für die Stasi-Unterlagen von 1990 bis 2000 geriet Gauck selber in den Verdacht, „Begünstigter der Staatssicherheit“ gewesen zu sein. Der Vorwurf war vom letzten Innenminister der DDR, Peter-Michael Diestel, erhoben worden. Dieser legte in einem entsprechenden Verfahren vor dem Rostocker Landgericht unter anderem acht eidesstattliche Erklärungen früherer Stasi-Mitarbeiter vor, die belegen sollten, dass Gauck selber Komplize des Geheimdienstes gewesen sei.

Unter anderem wurde hier angeführt, dass die Söhne Gaucks mit Genehmigung der Stasi nicht nur in den Westen hätten ausreisen, sondern –  hierbei handelt es sich um eine einmalige Ausnahme – bereits ein Jahr später zu einem Verwandtenbesuch wieder in die DDR hätten einreisen dürfen. Gauck hatte im Jahr 2000 zunächst eine einstweilige Verfügung gegen Diestel erwirkt, die es diesem untersagte, Gauck öffentlich mit der Stasi in Verbindung zu bringen. Das Landgericht in Rostock hatte die einstweilige Verfügung allerdings am 22. September 2000 aufgehoben.

Im Jahr 2001 trafen Gauck und Diestel erneut vor Gericht aufeinander. Diesmal wurde vor dem Oberlandgericht in Rostock verhandelt. Letztlich einigten sich beide gütlich und brachten das Verfahren damit juristisch zum Ende.

Sarrazin und Occupy

Ende 2010 ermahnte der unterlegene Präsidentschaftskandidat Gauck die Bevölkerung, sich gründlicher über politische Vorgänge und Entscheidungen zu informieren. Dem Tagesspiegel sagte er am 30. Dezember 2010:

„Es gibt in der Demokratie nicht nur eine Bringschuld der Politik, sondern auch eine Holschuld der Bürger. Wenn Wähler in einer Konsumentenhaltung verharren, anstatt sich für die objektiven Probleme der Allgemeinheit zu interessieren und sich mit den Vorschlägen und Maßnahmen der Politik wirklich auseinanderzusetzen, gerät die Demokratie auf Dauer in Gefahr.“

„Nicht die Kleidung der Ehefrau des Verteidigungsministers ist wichtig, sondern die Lage der Sozialsysteme oder die Notwendigkeit der Rente mit 67.“

Regierung und Opposition forderte er gleichzeitig auf, ihre Politik verständlicher zu erklären. Nur wer seine Entscheidungen ausführlich begründe, können Ängste vor unpopulären, aber notwendigen Maßnahmen abbauen.

„Politiker müssen eine Sprache finden, die auch von den einfachen Menschen verstanden wird.“

Im selben Interview attestierte Joachim Gauck dem früheren Berliner Finanzsenator Thilo Sarrazin, in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ „Mut bewiesen“ zu haben:

„Er hat über ein Problem, das in der Gesellschaft besteht, offener gesprochen als die Politik.“

Der politischen Klasse rät Gauck, aus dem Erfolg von Sarrazins Buch zu lernen, dass „ihre Sprache der politischen Korrektheit bei den Menschen das Gefühl weckt, dass die wirklichen Probleme verschleiert werden sollen“.

Im Oktober 2011 äußerte sich Gauck über die Occupy-Bewegung. Er halte die Antikapitalismus-Debatte für „unsäglich albern“, die Protestbewegung würde „schnell verebben“ und überhaupt sei sie von „romantischen Vorstellungen“ geprägt. Politiker sollen nach seiner Auffassung nicht das Sagen in der Finanzwirtschaft haben, da es zweifelhaft sei, zu glauben, dass unsere Einlagen dann sicherer wären.

Für die Energiewende der Bundesregierung findet Joachim Gauck kritische Worte: Man könne wichtige politische Entscheidungen, wie etwa den Ausstieg aus der Kernkraft, nicht von der Gefühlslage der Nation abhängig machen.

Schließlich trifft sein Rundumschlag auch noch die Stuttgart 21 Bewegung. Hier warnt Gauck vor einer Protestkultur, „die aufflammt, wenn es um den eigenen Vorgarten geht“. Die deutsche Neigung zu Hysterie und Angst nannte er „abscheulich„.

Wenn sich Angela Merkel dafür entscheidet, Joachim Gauck als gemeinsamen Kandidaten der Regierung, der SPD und der Grünen zu nominieren, dann müssen wir uns auf einen elften Bundespräsidenten einstellen, der die geheimdienstliche Überwachung der Linkspartei für angemessen und das Buch von Thilo Sarrazin für politisch vorbildlich hält, für den Kapitalismus-Kritik albern, soziale Einschnitte und Rente mit 67 notwendig, der Atomausstieg gefühlsduselig und die berechtigte Sorge weiter Teile der Bevölkerung um ihre Lebensqualität abscheulich sind.

Die Kanzlerin wird die Kandidatenfrage in jedem Fall nutzen, um dem Schaden, den Wulff und Köhler ihrer Reputation zugefügt haben, zu begrenzen. Dies gelingt am besten mit einem Nachfolger, dessen politische Beliebigkeit ihn für möglichst viele Lager wählbar macht. Es riecht nach Gauck.

146 Kommentare

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146 Antworten zu “Hier riecht’s nach Gauck

  1. Pingback: Wie Gauck durch halbe Zitate zum Sarrazin-Kumpel wird « Christian Spöckers Reporter-Blog

  2. Hm, sehr einseitige und aus dem Zusammenhang gerissene Zusammenfassung am Ende: Beispiel: „Wenn sich Angela Merkel dafür entscheidet, Joachim Gauck als gemeinsamen Kandidaten der Regierung, der SPD und der Grünen zu nominieren, dann müssen wir uns auf einen elften Bundespräsidenten einstellen, der die geheimdienstliche Überwachung der Linkspartei für angemessen und das Buch von Thilo Sarrazin für politisch vorbildlich hält, für den Kapitalismus-Kritik albern, soziale Einschnitte und Rente mit 67 notwendig, der Atomausstieg gefühlsduselig und die berechtigte Sorge weiter Teile der Bevölkerung um ihre Lebensqualität abscheulich sind.“
    Gerade bei Sarrazin schlägst du dich sehr polemisch auf die Seite der Dauernörgler… er hat NIE gesagt, dass er das Buch gut findet oder gar dessen Thesen, er hat nur gesagt, dass Sarrazin etwas offener anspricht, als die Politiker es gerade wagen, obwohl das Thema in der Bevölkerung schwelt. Es geht Gauck um den Mut, drängende Probleme offen zu diskutieren – net um das hirnverbrannte Gewaaf von Thilo.

  3. Wozu eigentlich noch das lästige Wahlverfahren, wenn die Blöd-Zeitung bereits beschlossen hat, „der wirds“?

    „Sie saß im Zug von Wien nach Nürnberg am Sonntagabend, als ihr Handy klingelte. Eine Kollegin war dran. Als sie auflegte, wusste Daniela Schadt (52): Sie wird Deutschlands neue First Lady!“
    Quelle: „Heiratet Gauck jetzt seine First Lady?“ http://bit.ly/zC1IoN

    Gauck und Schadt heiraten? Und wir haben dann erstmals einen Bigamisten in diesem Amt? Unterhaltungswert hätte das ja immerhin, im Sinne von „offener Gesellschaft“ und so, denn Gauck ist von seiner Ehefrau gar nicht geschieden, aber bei evangelischen Pastoren scheint man es damit wohl nicht so genau zu nehmen? 🙂

    http://bit.ly/EIDD

    (Kommentar erschien auch bei ‚der Freitag‘)

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  6. August-13

    Das Problem mit der BStU (Gauck-Behörde) nur auf die Stasi-Mitarbeiter zu beschränken halte ich für viel zu kurzsichtig. Wer sind denn die übrigen Mitarbeiter der BStU. Jürgen Fuchs hat dies in seinem Buch „Magdalena“ sehr gut beschrieben. Die BStU ist eine ABM-Maßnahme für linientreues DDR-Verwaltungspersonal. Die meisten von ihnen waren Parteimitglieder, entweder von der SED oder einer Blockpartei. Aber auf jeden Fall treue Anhänger der DDR-Diktatur. Und diese Leute arbeiten die Stasi-Akten auf. Viele Opfer fragen sich schon seit langem, warum in der BStU so wenig belastendes Material gefunden wird? Wenn man den Bock zum Gärtner macht, kommt halt nix anderes raus.
    Und dies scheint auch so vom Westen gewünscht zu sein.
    Der Stellvertreter von Gauck war ein Wessi ein gewisser Hansjörg Geiger. Nach seinem Ausscheiden 1995 wurde dieser Präsident des Verfassungsschutzes. Von 1996-1998 diente er seinem Vaterland als Präsident des BND.
    BND und Verfassungsschutz saßen bei der Gauck-Behörde immer in der 1. Reihe. Und trotzdem sind so viele Akten unauffindbar oder verschwunden. Die meisten Opfer der DDR-Diktatur glauben hier kaum an einen Zufall.

    Und nun zum Terpe-Papier, welches uns der Herr Diestel so wärmstens ans Herz legt.
    Warum erklärt ein Rechtsanwalt der aufopferungsvoll SED und Stasi-Leute rechtlich vertritt, dass ein gewisser Gauck ein Begünstigter der Stasi gewesen ist. Das halb informierte Volk soll denken, wenn ein Diestel diese Vorwürfe erhebt, dann ist da nur wenig dran. Denn die Stasi würde doch niemals ihre eigenen Leute belasten. Aber genau das ist die Absicht. So funktioniert Geheimdienst, so funktioniert Zersetzung. Nur weil man jemanden als unglaubwürdig einstuft, heißt es noch lange nicht, dass alle seine Aussagen falsch sind.
    Das wirklich belastende BStU-Material befindet sich längt in den Händen des Verfassungsschutzes und des BND. Es dient als Druckmittel hinter den Kulissen. Wenn uns die Entscheidungen unserer Politiker merkwürdig vorkommen, dann liegt es daran, dass ihnen die Akten gezeigt wurden. Also mit Skandalen wie bei Wulf ist nicht mehr zu rechnen.
    Darum sollte wir in möglichst vielen Foren und Zeitungen Kommentare einstellen.

    Aufklärung ist nur noch bis zum 18.03.2012 möglich, danach droht der §90 des Strafgesetzbuches:
    Verunglimpfung des Bundespräsidenten.
    (1) Wer öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften (§ 11 Abs. 3) den Bundespräsidenten verunglimpft, wird mit Freiheitsstrafe von drei Monaten bis zu fünf Jahren bestraft.
    (2) In minder schweren Fällen kann das Gericht die Strafe nach seinem Ermessen mildern (§ 49 Abs. 2), wenn nicht die Voraussetzungen des § 188 erfüllt sind.
    (3) Die Strafe ist Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren, wenn die Tat eine Verleumdung (§ 187) ist oder wenn der Täter sich durch die Tat absichtlich für Bestrebungen gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland oder gegen Verfassungsgrundsätze einsetzt.
    (4) Die Tat wird nur mit Ermächtigung des Bundespräsidenten verfolgt.

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