Krieg, Lügen und Presse: Henryk M. Broder zündet die WELT an

10.05.2011 – Henryk M. Broder schwört die Deutschen in der WELT auf ein neues Zeitalter ein. Ihr seid „feige“ und „passiv aggressiv“, leidet unter der „Schmach“ der „Niederlage 1945“ und Euer „Gemüt funktioniert wie ein Vulkan“ ruft er seinen Lesern zu. Statt über die völkerrechtliche Bedeutung der Tötung Osama Bin Ladens oder des Militäreinsatzes in Libyen nachzudenken, sollen die Deutschen lieber … Ja, was eigentlich? Dazu äußert Broder sich nicht. Er rechnet nur ab. Mit den Deutschen im Allgemeinen und mit ein paar ihrer prominenten Vertreter im Einzelnen.

Unter dem Titel „Ihr feigen Deutschen seid passiv-aggressiv! Der Massenmörder Osama Bin Laden ist zur Strecke gebracht – und wir sind Weltmeister im Moralisieren. Anti-Amerikanismus inklusive“ veröffentlicht Henryk M. Broder am 08. Mai 2011 einen Beitrag bei WELT ONLINE, in dem er die Kritiker der Tötung Osama Bin Ladens hart angeht und die Vormachtsstellung der USA in der Weltpolitik rechtfertig.

Täter sexy, Opfer kläglich

Zu Beginn seines Artikels zitiert Broder Winston Churchill. Der soll einmal gesagt haben: „Man hat die Deutschen entweder an der Gurgel oder zu Füßen.“ Broder unterstellt ihm schamlose Untertreibung und trumpft auf: „Die Deutschen sind entweder für den totalen Krieg oder den totalen Frieden; die „Exportweltmeister“, die „Weltmeister der Herzen“ sind auch Branchenführer im Moralisieren.“ Und weiter: „Aber sie (die Deutschen) sind keine Pazifisten, sondern nur faul, feige und passiv-aggressiv.

Bin Laden StencilIn den ersten Absätzen macht der Autor einige ganz große Fässer auf. So kommt er von Osama Bin Laden auf Kinderschänder, von der Debatte über die Sicherheitsverwahrung auf die Mauertoten, von den Opfern des DDR-Regimes auf Jugendliche, die Passanten ins Koma prügeln.

Deutsche haben nach Broder nur Mitleid mit Tätern (Saddam Hussein, Gaddafi, Osama), weil die „sexy“ und ihre Opfer dagegen „kläglich“ sind.

Im weiteren Verlauf seines Artikels hält er den Deutschen einen vermeintlichen Spiegel vor: Völkerrechtliche Bedenken Vieler erklärt Broder der Einfachheit halber als „Megawelle des Mitgefühls“ mit Osama Bin Laden. Hieraus konstruiert er den Vorwurf, man wolle in Deutschland zwar „vom Schicksal der über 1000 Opfer des DDR-Grenzregimes nichts mehr wissen“, sich dafür aber angesichts der Tötung eines „Massenmörders“ in völkerrechtlichen Debatten ergehen.

Nun folgt die Abrechnung mit verschiedenen Vertretern der Öffentlichkeit, die sich kritisch zur Vorgehensweise der Navy Seals in Pakistan geäußert haben.

Die offizielle Erklärung von Professor Peter Strutynski für den Bundesausschuss Friedensratschlag zitiert Broder weitgehend umkommentiert. In der Erklärung heißt es unter anderem:

„Wenn die Tötung eines Menschen, wie groß auch seine Verbrechen sein mögen, von westlichen Politiker/innen mit ,Erleichterung‘ aufgenommen und gefeiert wird sie sich auf das Niveau derjenigen Terroristen, denen ein Menschenleben nichts wert ist.“

Broder führt hierzu lediglich an, dass dem Bundesausschuss zu dem Blutbad in Syrien bislang nichts Relevantes eingefallen sei und verschweigt seinen Lesern hierbei unter anderem diese Erklärung der AG Friedensforschung.

Verkürzte Ermittlungsarbeit

Im nächsten Abschnitt geht es um einen Kommentar von WDR  Chefredakteur Jörg Schönenborn. Dieser hatte in den Tagesthemen unter anderem Folgendes gesagt:

„Was ist das für ein Land, das eine Hinrichtung derart bejubelt? Zivilisierte Nationen haben einst das Völkerrecht geschaffen. Sie verständigten sich darauf, dass Verbrecher vor Gericht gestellt und nicht einfach getötet werden.“

Broder diskreditiert Schönborn hier zunächst als den, „der sonst Umfragen erklärt“ und macht sodann darauf aufmerksam, dass „es in allen Ländern der Bundesrepublik Gesetzte über den finalen Rettungsschuss gibt„. Zynisch fügt er hinzu, dass dieser die „Ermittlungsarbeit verkürzt und die Strafzumessung erleichtert“.

Unerwähnt bleibt hingegen, dass der so genante „finale Rettungsschuss“ im Sinne der Nothilfe Gefahr von Dritten abwenden soll, wenn kein anderes Mittel zur Verfügung steht. Mit der Tötung Osama Bin Ladens hat dies alleine schon deshalb nichts zu tun, weil in Abottabad keine „Dritten“ anwesend waren und die „Gefahr“ ausschließlich von den Navy Seals ausging.

Als nächstes ist Heribert Prantl an der Reihe. Dieser hatte in einem Leitartikel für die Süddeutsche Zeitung die Frage gestellt, ob die Exekution Bin Ladens durch ein amerikanisches Militärkommando eine gerechte Strafe war.

Und Broder persifliert: „Nein, gewiss nicht. Eine gerechte Strafe wäre es, Osama Bin Laden dazu zu verdonnern, die Leitartikel von Heribert Prantl zu lesen“.

Auch Volker Beck kommt bei Broder nicht ungeschoren davon. Beck hatte zu bedenken gegeben: „Wenn Osama Bin Laden durch einen Kopfschuss getötet werden konnte, dann muss die Frage erlaubt sein, ob man ihn nicht auch hätte festnehmen und vor ein rechtsstaatliches Gericht hätte stellen können.“ Broders Karikatur: „Wobei ihm die Grünen wahrscheinlich Hans-Christian Ströbele als Pflichtverteidiger zur Seite gestellt hätten.“

Als nächstes lässt Broder Altbundeskanzler Helmut Schmidt zu Wort kommen, der bei Beckmann sagte, dass die Aktion der Amerikaner in Pakistan „ein Verstoß gegen das Völkerrecht“ gewesen sei. Henryk M. Broder verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Schmidt selber im Jahre 1977 ein GSG-9 Kommando nach Mogadischu entsandt hat. Unerwähnt bleibt hierbei sowohl, dass dieses Vorgehen mit der somalischen Regierung abgesprochen war als auch dass es um die Befreiung von Geiseln handelte, die sich in unmittelbarer Lebensgefahr befanden.

Ein guter Springer Mitarbeiter

Wer sich von Henryk M. Broders Aufmacher in der WELT ONLINE Erkenntnisse, Orientierung oder auch einfach nur Argumente versprochen hatte, der sieht sich enttäuscht. Der Autor ergeht sich stattdessen in Beschuldigungen, Beleidigungen und zynischen Kommentaren. Dabei ist ihm kein Beispiel zu weit hergeholt, kein Vergleich zu absurd und keine Verurteilung zu abgeschmackt.

Seine Aneinanderreihung von Diffamierungen gegen Publizisten, Völkerrechtler, Wissenschaftler und Richter dient dem einzigen Zweck, der deutschen Stammtischfraktion den theoretischen Unterbau für eine Haltung zu liefern, die sich am martialischen Vorgehen westlicher Mächte erfreut, wie an einer Schlägerei im Fußballstadion.

Kriege brauchen öffentliche Zustimmung. Die kann aber nur durch eine einseitig berichtende Presse erreicht werden. Eine objektive Berichterstattung über den Krieg kann nur zu einem einzigen Ergebnis führen: Der entschiedenen Ablehnung von Übertretungen des Völkerrechts. Broder unterstellt den Kritikern der Tötung Osama Bin Ladens einen unkritischen Anti-Amerikanismus. Wer sich angesichts der aggressiven US-amerikanischen Außenpolitik auf das internationale Völkerrecht beruft und auf dessen Einhaltung drängt, der ist für Broder „faul, feige und passiv-aggressiv“.

Das Verlagshaus Springer bietet dem 64-jährigen Islamkritiker (Broder in seinem 2006 erschienenen Buch Hurra, wir kapitulieren!: „1,5 Milliarden Moslems in aller Welt, die chronisch zum Beleidigtsein und unvorhersehbaren Reaktionen neigen.“) eine Plattform zur Verbreitung einer Haltung, die als Kriegspropaganda verstanden werden könnte und setzt damit eine selbstgeschaffene Tradition fort.

Axel Springer selber hat 1967 vier weltanschauliche Grundsätze formuliert, die bis heute für jeden Mitarbeiter des Verlagskonzerns bindend sind. Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 wurde ein fünfter Grundsatz hinzugefügt. Dieser lautet:

Das unbedingte Eintreten für die Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität in der freiheitlichen Wertegemeinschaft mit den Vereinigten Staaten von Amerika.

In diesem Sinne ist Henryk M. Broder wohl ein guter Springer-Mitarbeiter.

16 Kommentare

Eingeordnet unter Außenpolitik, Empfohlen, Politik

16 Antworten zu “Krieg, Lügen und Presse: Henryk M. Broder zündet die WELT an

  1. Vielen Dank an Volker Pispers für seinen WDR Beitrag über die Tötung Bin Ladens:

  2. UJN

    Lieber Jacob,

    für Artikel zu solchen Themen sollte es eigentlich erst gar keinen Anlass geben. Ich habe mich gerade gefragt, ob man den Vergleich wirklich bringen darf, aber Broder erSTÜRMT mit seinen Einlassungen wirklich den Gipfel der Unverschämtheiten.
    Man liest es neuerdings öfter, mittlerweile scheint auch die AG Friedensforschung besonders in den Fokus der Bellizisten geraten zu sein. Umso mehr kapriziere ich mich in Folge dessen insbesondere in Bezug auf Afghanistan gerne auf deren Arbeit.
    Broder hat spätestens seit 1990 persönlich den Schuss nicht mehr gehört, auch wenn er andernorts immer wieder gerne im Interesse des amerikanischen Imperiums fürs Bomben und Schießen plädiert und sich als Leumund verdingt. 1990 begann er ja auch seine Kampagne gegen H.-C. Ströbele und war stets glühender Befürworter von Kriegen, häufig auch auf Seiten von Cohn-Bendit, Fücks, Fischer etc.. Die geistige Gemeinschaft und der persönliche Umgang mit Broder fällt jedoch nicht nur auf den genannten Personenkreis selbst zurück …

    Eigentlich ist jedes Wort zu Broder ein Wort zu viel, aber angelegentlich ist ein metasprachlicher Entlarvungsversuch, wie Du ihn erfolgreich gestartet hast, unbedingt nötig.

    Herzlichen Dank dafür!
    UJN

  3. Das Problem an Broders öffentlichen Äußerungen, sei es innerhalb seiner Tätigkeit für Springer, in seinen Büchern oder auch in Talkshows, zu denen er immer wieder gerne eingeladen wird, besteht für mich hauptsächlich darin, dass er Standpunkten, die für gewöhnlich gerade einmal für den Stammtisch taugen, zu einem pseudo-intellektuellen Unterbau verhilft.

    Seine pointierten Beschimpfungen, seine weit hergeholten Vergleiche und seine hinter zynischen Scherzen verborgenen Diffamierungen Andersdenkender sind dabei lediglich eine stilistische Note, die mir nicht gefällt.

    Die Standpunkte, die sich dahinter verbergen, halte ich in ihrer öffentlichen Wirkung dagegen für gefährlich, weil sie zu einer Atmosphäre der Überheblichkeit und des Anspruchs auf eine Vormachtstellung in der Welt beitragen.

    Wenngleich ich mich selber auch nur mit Widerwillen dazu entschieden habe, die Argumente, Thesen und Vergleiche seines Artikel einmal Wort für Wort zu betrachten und die bewusst eingesetzten Unstimmigkeiten darin zu benennen, sehe ich keinen anderen Weg, dieser Form des „Journalismus“ durch die deutsche Major-Presse zu begegnen.

    Danke für Deinen Kommentar
    Jacob

  4. Lieber Jacob Jung,

    Sie haben mit Ihrer hervorragenden Kritik an Broders Hetzschrift mir dankenswerter Weise die Feder aus der Hand genommen (es hatte mich vor diesem unerlässlich notwendigen Job schon so richtig geekelt) , so dass mir nicht mehr verbleibt, als all jenen, die die AKTE BRODER noch nicht so genau kennen, auf meine Beiträge zu verweisen, zu denen seine Hetze auf Andersdenkende und seine publizistische Vorbereitung eines israelisch-amerikanischen Angriffskriegs auf den Iran mich in der Vergangenheit bereits gezwungen hatten: http://profiprofil.wordpress.com/tag/broder/

    Wessen wir hier Zeitzeugen sein müssen, das ist die Eliminierung des Artikel 26 GG: beginnend mit dem Bekenntnis des Herrn Guttenbergs zur grundgesetzwidrigen „Kriegsführung“ in Afghanistan http://profiprofil.wordpress.com/tag/afghanistankrieg/ , fortgeführt mit der Schmähkritik der Medien an der Bundesregierung bezüglich Enthaltung bei Resolution 1973 http://forum.spiegel.de/member.php?u=106285 und kulminierend in der Orgie von Egoshooter-Beiträgen (mit Sicherheit ist das entsprechende game schon in Auftrag gegeben!) anlässlich der Ermordung von bin Laden – die Strategie der Eliminierung des Art. 26 GG durch die sich selbst gleichschaltenden publizistischen Zentralorgane des spekulativen Finanz-Kapitals und ihres blutrünstigen Blogger-Fußvolks – Broder als Einpeitscher – ist nicht mehr zu ignorieren.

    Könnte man sich auf das Bundesverfassungsgericht verlassen, so wäre meine Befürchtung gegenüber dieser Attacke übertrieben; leider aber muss man zur Kenntnis nehmen, dass es die rotgrüne Bundesregierung gewesen ist, die – mit der Auschwitz-Beschwörung durch die außenpolitische Flitschpiepe J. Fischer – bereits 199 das antifaschistische Erbe der BRD liquidiert hatte, was dann von der ungeheuerlichen Entscheidung des 2. Senats des BVerfG vom 3. 7. 2007 – vgl. meine Kritik http://profiprofil.wordpress.com/2010/12/05/bonner-appell-spd-partei-der-ent-und-der-abrustung/ – in punkto Teilnahme der Bundeswehr am Afghanistankrieg als „verfassungskonform“ abgesegnet worden ist: eine Sauerei höchsten Grades!

    Wir können uns im Kampf gegen die im vollen Gange befindliche Eliminierung des Art. 26 GG – und dieser Kampf ist momentan der politisch wichtigste in Deutschland – nur noch auf uns selbst verlassen – und gleichzeitig hoffen, dass sich (auch durch unsere Aufklärung in Bezug auf die der Bundeswehr zugedachte Rolle der Fremdenlegion des Imperiums) so gut wie niemand mehr freiwillig verpflichten wird, dass also durch die von Guttenberg eingetüte „Bundeswehrreform“ sich die Bundeswehr selber paralysiert und dadurch einsatzuntauglich wird: Lotta continua!

  5. Martin Morlock, 1977:

    „Demagogie betreibt, wer bei günstiger Gelegenheit öffentlich für ein politisches Ziel wirbt, indem er der Masse schmeichelt, an ihre Gefühle, Instinkte und Vorurteile appelliert, ferner sich der Hetze und Lüge schuldig macht, Wahres übertrieben oder grob vereinfacht darstellt, die Sache, die er durchsetzen will, für die Sache aller Gutgesinnten ausgibt, und die Art und Weise, wie er sie durchsetzt oder durchzusetzen vorschlägt, als die einzig mögliche hinstellt.“

  6. Es wird der Tag kommen an dem auch ihr erwachsen werdet und genügend Verstand und Erfahrung habt, daß ihr den Lauf der Welt versteht und dann werdet ihr über „früher“ hoffentlich schmunzeln – wie blöd ihr doch damals ward. Links sein ist für euch zur Zeit ein Lebensgefühl. Das wird sich dann irgendwann mit Beginn der Realität in eurem Leben ändern. Nehmt es nicht so schwer – das ist schon ok. Wenn ihr jetzt nicht zu radikal seid, muß man später nicht so viel leugnen – kleiner Tipp :-))

    • UJN

      @Ein aufgeklärter Geist Naja, verzeihen Sie es mir bitte, aber wer von sich selbst behauptet, er sei ein „aufgeklärter Geist“ und sich so selbst attribuiert, erhebt dann doch nur einen Anspruch und kontrastiert damit vermutlich die schnöde Wirklichkeit.

    • @ ein aufgeklärter Geist

      Scheinbar beziehen Sie sich auf Georges Clemenceau:
      „L’homme qui n’a pas été anarchiste à seize ans est un imbécile. Mais c’en est un autre, s’il l’est encore à quarante.“

      Vergessen Sie nicht, dass er Berufspolitiker war. Die ursprüngliche Gesinnung im Laufe seines Lebens zu verlieren, hat viel mit der Reaktion auf die Widersprüche vermeintlicher Sachzwänge und wenig mit dem Verstand zu tun. Sein und Bewusstsein, Sie verstehen…

      Ihnen zur Beruhigung: Wer sich darauf konzentriert, in möglichst wenig Sachzwänge zu geraten, der hat gute Chancen, seine begründete Auffassung bis ins hohe Alter zu behalten.

      Jacob Jung

  7. UJN

    @Jacob – Insofern wünsche ich Dir persönlich, so talentiert Du auch sein magst – vielleicht doch die Finger vom Berufspolitikertum zu lassen.
    Ich zitiere mich einmal selbst:
    „Verena Krieger, eine ehemalige MdB und Parteisprecherin der GRÜNEN, etwa schildert, daß Bundestagsabgeordnete sehr fremdbestimmt sind: Parlamentarier müssen sich intensiver mit Gesetzesanträgen der anderen Fraktionen sowie mit dem aktuellen Tagesgeschehen auseinandersetzen als etwa die Partei („Komplexitätsdruck“). Gleichzeitig wirkt diese Entwicklung in die Partei hinein, es wird erwartet, daß auch sie Stellung zu zentralen Issues bezieht („Programm- bzw. Konkretisierungsdruck“). Die Reaktionen der anderen Fraktionen, der Verwaltung, der Verbände und der Medien führen dazu, daß die Parlamentarier sich stark nach außen orientieren („Öffnungsdruck“). Diese Entwicklung greift auf die Partei über, selbständig werden kaum mehr Kampagnen entfaltet, mit Ausnahme der Wahlkämpfe. Abgeordnete entwickeln einen Wissensvorsprung, die Rückkoppelung an die Basis fällt schwerer, Parlamentsfraktionen entwickeln eine Eigendynamik, das Bedürfnis entsteht, „nicht immer zur niedergestimmten Minderheit zu gehören“ und die Oppositionsrolle abzugeben. Die Zwänge einer massenmedialen Gesellschaft und die Tatsache, daß komplexe Inhalte nur schwer unter diesen Bedingungen zu vermitteln sind, führt bereits ohne reale Option auf eine Regierungsbeteiligung zur Revision von Positionen. Die Verparlamentarisierung und die damit verbundenen Zwänge und Perspektiven gehen einher mit dem Wachstum. Während das wachsende parlamentarische Gewicht der Partei die organisatorischen Voraussetzungen für eine Regierungsbeteiligung schafft, setzt die Verparlamentarisierung psychologische Prozesse in Gang, die bei den Beteiligten den Wunsch nach Partizipation entstehen lassen.“

    Den ganzen Text gibt es unter: http://bit.ly/h557Et

  8. In meinem Artikel habe ich mich vor allem kleinschrittig mit dem konkreten Inhalt des Broder Textes beschäftigt.

    Man kann seinen WELT Aufmacher aber auch strukturell beurteilen. Broder greift hier, wie übrigens in fast allen öffentlichen Äußerungen, zu einem einfachen aber wirksamen Mittel:

    Er vermischt bewusst die rationale mit der emotionalen Ebene und steht damit in der Tradition berüchtigter Demagogen.

    In seinem Artikel erklärt er hierzu der Einfachheit halber die rational begründeten Einsprüche gegen das Vorgehen der USA in Bezug auf Bin Laden zum rein emotionalen „Mitleid mit einem Massenmörder“ und profitiert von dem nachvollziehbaren Effekt, dass sich niemand nachsagen lassen will, wirkliche Empathie für Osama Bin Laden zu empfinden.

    Dieser Schachzug eröffnet den „argumentativen“ Weg zu seiner Täter-Opfer These. In der heisst es, dass sich deutsches Mitleid grundsätzlich auf die Täter bezieht, weil diese „sexy“ und ihre Opfer „kläglich“ sind.

    Wer ihm inhaltlich und argumentativ bis zu dieser Stelle folgt, der sieht sich im nächsten Schritt vor der Entscheidung, Mauertoten, missbrauchten Kindern und ins Koma geschlagenen Passanten sein Mitleid zu verweigern und sich damit selber zum Täter zu machen.

    Genau hier schnappt die Broder Falle zu.

    Will man sich aus der Falle befreien, so braucht man lediglich seinen ersten Ansatz zu negieren:

    Es geht nicht um Mitleid mit Osama Bin Laden, wenn man auf der Einhaltung völkerrechtlicher Statuten besteht.

  9. Pingback: Krieg, Lügen und die Presse | le bohémien

  10. Es ist wenig überraschend, dass man einem Broder-Artikel nichts Informatives abgewinnen kann. Der Mann reproduziert seinen Quatsch seit mindestens mehreren Jahren immer wieder. Das Umsatteln auf die Welt bringt den Vorteil, dass er alte Positionen und Pointen (sowieso bestehen seine Texte zum größten Teil aus Aneinanderreihung von „Pointen“) recyclen kann..

    Ich stimme allerdings vollständig zu, wenn es um die Kriegstreiberei geht. Da reiht sich die aggressive Verteidigung von militärischen Aggressionen nahtlos mit der Beschimpfung von Muslimen ein, denn nicht zuletzt dadurch ist es einfacher, Ermordungen dieser zu rechtfertigen (sind halt alles Frauenfeinde).

    Was mir an der Debatte fehlt ist allerdings die Loslösung von der Tötung Bin Ladens. Im Krieg gegen den Terror sind wohl mehr als eine Million Menschen getötet worden. Leider hat bislang keine Diskussion über den Rechtsstatus dieser Tötungen so einen Stellenwert gehabt, wie die derzeitige über die Tötung Bin Ladens! Anders ausgedrückt: hätten die Kriegstreiber lediglich Bin Laden getötet, könnte meinetwegen über die Rechtmäßigkeit und die Bestattung etc. pp. gesprochen werden. Wenn man sich aber vergegenwärtigt, dass über die letzten 10 Jahre so viele Menschen im selben Zusammenhang getötet wurden, dann müsste die Priorität darin bestehen, diesen Krieg gänzlich zu beenden und die Verantwortlichen vor Gericht zu zerren. Die Hauptverantwortlichen tummeln sich in den USA in verschiedenen Medienanstalten, kommentieren und philosophieren, während Tony Blair zum Nahost-Mediator (also jemand, der Frieden herzustellen helfen soll!!) geschlagen wurde!

  11. „Ihr habt gehört, dass gesagt ist: „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“ Ich aber sage euch, dass ihr nicht widerstreben sollt dem Übel, sondern: wenn dich jemand auf deine rechte Backe schlägt, dem biete die andere auch dar. Und wenn jemand mit dir rechten will und dir deinen Rock nehmen, dem lass auch den Mantel. Und wenn dich jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei.“

    Jesus von Nazareth

    „Man sagt es harmlos, wie man Selbstverständlichkeiten auszusprechen pflegt, dass der Besitz der Produktionsmittel dem Kapitalisten bei den Lohnverhandlungen den Arbeitern gegenüber unter allen Umständen ein Übergewicht verschaffen muss, dessen Ausdruck eben der Mehrwert oder Kapitalzins ist und immer sein wird. Man kann es sich einfach nicht vorstellen, dass das heute auf Seiten des Besitzes liegende Übergewicht einfach dadurch auf die Besitzlosen (Arbeiter) übergehen kann, dass man den Besitzenden neben jedes Haus, jede Fabrik noch ein Haus, noch eine Fabrik baut.“

    Silvio Gesell

    „The greatest tragedy in mankind’s entire history may be the hijacking of morality by religion.“

    Arthur C. Clarke

    Die Aussagen von wahren Genies bleiben für gewöhnliche Menschen unverständlich, und selbst den Gelehrten und ernsthaften Studenten können sie nur mit Mühe sinnhaftig werden:

    http://www.deweles.de/willkommen/cancel-program-genesis.html

  12. Pingback: Jacob Jung: Jahresrückblick 2011 | Jacob Jung Blog

  13. die welt ist doch nichts anderes als eine etwas gehobenere bildzeitung.
    der autor des aritkels kann an sich nur besoffen gewesen sein als er den artikel schrieb.
    was er dann abbläst ist so ein dumpfbackengeschwafel das es sich nicht lohnt im einzelnen drauf einzugehen.
    außer einem einzigen punkt: zeigt mir DEN deutschen.
    ich kenne keinen; vielleicht auch weil es soviel in diesem unserem land gibt.

    davon abgesehen ist und bleibt es unflätig über den tod eines anderen menschen in jubelarien auszubrechen.
    unbewiesen wird eh bleiben inwieweit bin laden dieser oberterrorist war; die verstrickungen von cia und anderen geheimdiensten werden lange verschlossen bleiben und evtl. nie geöffnet werden – analog zu den archiven des vatikan. vielleicht war (ist …) es doch eher der hehre bush; ach und bevor ich sie verdränge, die finanzmagnaten sowieso, die man als terroristen bezeichnen sollte.

Hinterlasse einen Kommentar