Zwischen Fiktion und Wirklichkeit: Wie TV-Sendungen unsere Wahrnehmung prägen

03.07.2011 – Im privaten Fernsehen verschwimmen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität. Immer häufiger stößt man hier auf Formate, in denen die subjektiven Vorstellungen einfallsloser Drehbuchautoren als Darstellungen der Wirklichkeit verkauft werden.

Während der Trend zu den so genannten Doku-Soaps seinen Anfang ab 1999 mit den Gerichtsshows von RTL und SAT1 nahm, verzichtet heute fast kein privater TV-Sender mehr auf Formate, in denen die Grenzen zwischen Fiktion und Realität absichtlich verwischt werden.

So sorgen die Fernsehsender für Ordnung in einer immer komplexeren Welt, definieren das Oben und das Unten und erklären dem Zuschauer, was richtig und was falsch ist. Die Formate verführen zum passiven Verharren in einer gemütlichen und denkfaulen Welt, machen den Zuschauer empfänglich für Werbebotschaften und prägen ganz nebenbei die Meinung der Massen.

Die ganze Welt zu Gast auf Deinem Sofa

Beschränkten sich die Gerichtsshows noch auf die fiktive Darstellung der juristischen Welt, so haben weitere Doku-Soap-Formate mittlerweile eine Vielzahl anderer Lebensbereiche erfasst und prägen so unter den Zuschauern das Bild der vermeintlichen Wirklichkeit.

Ohne sich vom Sitzmöbel zu erheben, erhält man hier tiefe Einblicke in das Leben von Arbeitslosen, Kinderreichen, Verschuldeten, Auswanderern, Ausländern, Fahrlehrern, Schrottplatzbetreibern, Chefs, Ausreißern, Polizisten, Modells, Drogenabhängigen, Schönheitschirurgen oder Homosexuellen.

Die hier vorgestellten Personen und „Schicksale“ haben dabei nicht nur unterhaltende Wirkung sondern prägen vor allem auch Meinungen und Auffassungen der Zuschauer und vertiefen Vorurteile.

Hier bestätigt sich, dass Hartz-IV-Empfänger meist fett, faul und dumm und Verschuldete in der Regel selber schuld sind. Kinderreiche sind mit der Erziehung überfordert, Auswanderer sind zu dämlich, um sich vor ihrer Abreise über die Gegebenheiten im Zielland zu informieren. Schwule sind tuntig und Lesben sind dick. Modells sind zickig und Polizisten auch nur Menschen. Drogenabhängige haben es nicht anders gewollt und Schrottplatzbesitzer waschen sich vor dem Essen nicht die Finger.

Führt man sich vor Augen, dass die Betroffenen selber einen nicht unerheblichen Anteil der Zuschauer entsprechender Formate bilden, dann wird der traurige Fatalismus der verbreiteten Botschaften offenbar.

Nach einigen Stunden Fernsehkonsum ist dann die komplizierte Welt wieder aufgeräumt und gebrauchsfertig. Bis 19 Uhr sind die Zuschauer ausreichend auf die Nachrichtensendungen eingestimmt, in denen die Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit dann endgültig aufgehoben werden.

In einem bunten Potpourri aus Berichten über unbewaffnete libysche Rebellen, die Brüste von Pamela Anderson, die Risiken eines zu schnellen Atomausstiegs, den Hundesalon von Michele oder den jüngsten Ehrenmord im Ruhrgebiet ordnet sich selbst die große weite Welt zu einem anschaulichen und verständlichen Modell.

Politische Bildung funktioniert auch im TV: Man muss nur danach suchen

Es ist nicht so, dass im Fernsehen keine anspruchsvollen, hochwertigen und seriösen Sendungen angeboten würden. Allerdings muss man sich selber aktiv auf die Suche machen, um solche Formate zu entdecken. Unattraktive Sendezeiten erschweren diese Aufgabe zusätzlich und so bleibt man viel zu häufig auf den Unterhaltungsangeboten der Privaten hängen, wo man nach einigen Stunden feststellt, dass man selber beginnt, den dort verbreiteten Botschaften zu trauen und es sich in einer gemütlichen Konsumwelt mit einfachen und klaren Maßstäben bequem macht.

Mit der Internetseite Politiksendungen bietet der Blogger Emil Enter einen Ausweg aus dem alltäglichen Einerlei der privaten TV-Sender. Hier entdeckt man nämlich ein sauber aufgebautes Verzeichnis vieler Politiksendungen im deutschsprachigen Fernsehen, mit Sendeterminen, Themenschwerpunkten, Links zu Websites oder Podcasts und weiteren Informationen über die einzelnen Formate.

Auf der Startseite informiert ein Kalender über laufende und bald beginnende Sendungen. So entdeckt man auf Anhieb lohnende Alternativen zur geistigen Diätkost der Privaten, erhält Anregungen für Formate, die man vielleicht noch nicht kennt und erweitert seinen Horizont anhand von Fakten.

Emil Enter sagt über seine Internetseite, dass er hiermit dazu beitragen will, dass die Menschen in Deutschland sich besser informieren und kritischer werden. Die Seite befindet sich aktuell noch im Aufbau und der Betreiber freut sich über Anregungen und Kritik.

7 Kommentare

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7 Antworten zu “Zwischen Fiktion und Wirklichkeit: Wie TV-Sendungen unsere Wahrnehmung prägen

  1. Es ist allerdings nicht leicht, eine unabhängige politische Sendung zur Förderung der Meinungsbildung zu finden! Bei Formaten wie Maischberger, Plasberg und Will sieht man immer wieder die selben Gesichter und hört immer die gleichen mantraähnlich vorgetragenen Ansichten der sog. „Experten“ oder anderer selbsternannter Gurus, die auch nur Mietmäuler neoliberaler Stiftungen sind oder noch offenkundiger als Propagandaquasseler für die entsprechenden Interessengruppen unterwegs sind. Da dürfte es den meisten bereits manipulierten und gehirngewaschenen Mitbürgern sehr schwer fallen, sich nicht in eine vorher beabsichtigte Meinungsecke drücken zu lassen.
    Ich persönlich schaue nur noch sehr selten TV und wenn, dann reine Unterhaltungsfilme an. Bei denen weiß ich genau, was mir Hollywood damit unterschwellig einreden will und bin entsprechend gewappnet. Verzicht auf TV-Konsum führt nach meiner Erkenntnis zu besserem Schlaf, mehr Ausgeglichenheit und einem angenehmeren Familienleben. Alle wichtigen Informationen kann man in der heutigen Zeit dem Internet entnehmen, auch da muss man zwar gründlich suchen um keinen Desinformationen auf zu sitzen, aber die Vielfalt ist gewährleistet und wer mehrere Sprachen beherrscht, findet auch schnell ausländische Angebote, die eine zum Teil völlig neue Sichtweise der Dinge vermitteln. Sehr empfehlenswert zum Beispiel ist das Internetangebot von Al Jazeera.

  2. Nein. Politiksendungen sind in aller Regel keine Alternative. Geben auch sie nur das wieder, was die politische Elite verbreitet sehen möchte. Dafür sorgen sie, indem Ihre „gewählten“ Vertreter und Collaborateure aus Wirtschaft und Gesellschaft auftauchen.
    Ich sehe auch nicht, daß das TV-Angebot – ernsthaft betrachtet – so viel schlimmer ist, als die Freizeitbeschäftigung des durchschnittlichen Deutschen vor 100 Jahren.
    Nur in einem Punkt ist ein Leben vor dem Fernseher gefährlich: es ist zutiefst asozial und führt bei schlichten Gemütern zur Nachahmung und zur Sucht.
    Ich denke auch, wir sollten den Wunsch aufgeben, daß die Menschen sich besser informieren. Die gemeine Frisörin interessiert sich nicht für ballistische Kurven und Autoschlosser sind bereits mit „Grip“ hoffnungslos überfordert. Wenn überhaupt, dann gucken sie sowas gemeinsam auf dem Handy in der morgendlichen Bockwurstpause, um sich über irgendwas kaputtzulachen. Politisches Interesse beim gemeinen Bauern? Gäbe es das in der Masse, würde kein Bauer seine Gänsezucht einstellen, um auf dem Land Mais für die Chemieindustrie anzubauen. Dann würde er wissen, daß dadurch der ungarische Gänsebauer Riesenprofite fährt. Und er wüßte, daß der ungarische Bauer bereits der Chemieindustrie gehört. Dann könnte er sich ausrechnen, daß auch der deutsche Maisbauer sich kaufen lassen hat, damit erpressbar und der Betrieb möglicherweise irreparabel geschädigt ist…
    Nein nein.

    Und – um endlich auf meine Meinung hierzu zu kommen: das TV-Angebot ist größtenteils einfach nur lächerlich. Und wenn ich daran denke, was für einen hanebüchenen Schwachsinn die Sendung „Kennzeichen D“ seinerzeit oftmals über die DDR im Westen verbreitet hat, wenn ich an „Dalli Dalli“ denke und an Gitte und Klaus… warum die Palästinenser in der Tagesschau in den 80ern immer als Terroristen bezeichnet wurden und 20 Jahre später in der gleichen Sendung irakische Soldaten, die ihr Land gegen einen Aggressor verteidigten, dort tatsächlich „illegale Kämpfer“ hießen… dann hat sich nicht viel getan. Egal ob privat oder öffentlich-rechtlich. Im NDR-Gebiet klingen die Hörfunksender heute so, wie Privatradio Ende der 90er. Und Fernsehsender sehen aus, wie eine Mischung aus Playstation und Amateurfilm. Nur ganz selten dürfen noch echte Fachkräfte mal eine Sendung gestalten. Die fällt dann aber sowas von aus dem Rahmen, daß sie völlig überbewertet wird. Denn heute ist etwas schon dann herausragend, wenn es nur handwerklich ordentlich abgeliefert wird…

  3. Lux

    Politiksendungen sind definitiv keine Alternative.
    Auch sie dienen der Volksverblödung und Desinformation. Lediglich die Zielgruppe, die durch Politiksendungen erreicht werden soll, ist eine andere als die von Gerichtsshows, Doku- Seifen (Soaps) und dergleichen mehr aus dem Wahrheitsministerium (Fernsehen).
    Das Niveau ist unterschiedlich, Inhalt und Zweck identisch.
    Ordnen wir alle möglichen Meinungen, Ansichten und Ideen auf eine Skala von 1- 10 ein, dann wird in diesen Politiksendungen eine minimale Bandbreite dargestellt. Eben zum Zweck der Desinformation und Manipulation, um das Denken der Menschen in die gewünschte(n) Richtung(en) zu lenken. Wer aus diesem Rahmen heraussticht, gilt meist als Extremist, also ist gesellschaftlich zu ächten.

  4. Lux

    Nachtrag: Die geeignetsten Politiksendungen sind immer noch die politischen Kabarettsendungen.

  5. Wer sich gut informieren möchte, dem steht es frei, sich aus vielen unterschiedlichen Angeboten zu informieren. (Be-)Werten sollte er die aufbereiteten Informationen und Meinungen indes selbst.
    Leider ist der überwiegende Teil (gerade) des Privatfernsehens nichts anderes als eine Klischees bedienende Verdummungsmaschinerie, die eigenes Denken/Phantasie/Kreativität weder fordert noch fördert.

    • Lux

      (Be-)Werten sollte er die aufbereiteten Informationen und Meinungen indes selbst.

      Das setzt aber eine hinreichende Vorbildung als auch die Fähigkeit zum kritischen (= allumfassenden) und logischen (= folgerichtigen) Denken voraus. Diese Voraussetzungen (ohne Vorbildung) sind aber nur bei den wenigsten Menschen wirklich vorhanden (die Psychologie schätzt diesen Anteil auf 5% aller Menschen). Der normale Fernsehkonsument muss sich also auf das Angebot verlassen können. Meines Erachtens ist das (volksverblödende) Lügen im Gegensatz zum Falschparken noch nicht einmal eine Ordnungswidrigkeit.

      Leider ist der überwiegende Teil (gerade) des Privatfernsehens nichts anderes als eine Klischees bedienende Verdummungsmaschinerie…

      Darin stimme ich mit ihnen überein. Doch weshalb reduzieren sie den Sachverhalt nur auf das Privatfernsehen? Ich kann ihr völlig unbegründetes Vertrauen in das Staatsfernsehen in keiner Weise nachvollziehen. Ihre Vorwürfe gegenüber dem Privatfernsehen treffen ebenso auf das Staatsfernsehen zu.

      • Das öffentlich-rechtliche Fernsehen bietet m.E. zumindest teilweise durchaus Möglichkeiten, sich etwa in politischer Hinsicht zu informieren. Dabei beinhaltet jede Darstellung den Transport von „Meinung“, so daß es eine völlig neutrale Darstellung nicht geben kann. Gleichwohl bieten die öffentlich-rechtlichen mehr Auswahl und weniger Klischees als die privaten Sender.

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