Sicherheit statt Freiheit: Hintergründe zum Anti-Terror-Gesetz

18.08.2011 – Gestern hat das Bundeskabinett einer Verlängerung der sogenannten Anti-Terror-Gesetze um weitere vier Jahre zugestimmt. Das ursprüngliche „Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ war als Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 von der damaligen Bundesregierung vorgeschlagen worden. Nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat trat es am 1. Januar 2002 in Kraft und war zunächst auf fünf Jahre befristet.

Im Jahr 2007 wurde das Gesetz zunächst um weitere fünf Jahre verlängert. Mit der gestrigen Entscheidung gelten die maßgeblichen Regelungen des Gesetzes nun für weitere vier Jahre, also bis zum Januar 2016.

Der folgende Beitrag klärt über den Inhalt des Gesetzes auf, lässt Politiker und Datenschützer über seine Inhalte und deren Konsequenzen zu Wort kommen und beleuchtet die Umstände, unter denen das umstrittene Gesetz zustande gekommen ist.

Das „Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus“ im Detail

Bei dem Gesetz, das im allgemeinen Sprachgebrauch meist als Anti-Terror-Gesetz bezeichnet wird, handelt es sich um ein Artikelgesetz. Es nimmt insofern gleichzeitig mehrere Änderungen an Bundesgesetzen zur Inneren Sicherheit vor.

Im Folgenden werden die Änderungen in Bezug auf die maßgeblichen Gesetze einzeln vorgestellt. Am Ende dieses Abschnittes findet sich eine kurze Zusammenfassung der Änderungen.

Bundesverfassungsschutzgesetz

Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Verdachtsfall folgende Auskünfte einholen, für 10 bis 15 Jahre speichern und an andere Stellen weitergeben:

  • Bei Banken und Finanzunternehmen: Informationen über Konten, Kontoinhaber, Berechtigte, Geldbewegungen und Geldanlagen.
  • Bei Postdienstleistern: Informationen über Namen, Anschriften, Postfächer und sonstige Umstände des Postverkehrs.
  • Bei Luftfahrtunternehmen: Informationen über Namen, Anschriften, Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs.
  • Bei Telekommunikationsunternehmen: Informationen zu Verbindungsdaten, Zugangsdaten, Kartennummern, Standortdaten, anrufende und angerufene Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung und Art der Telekommunikationsdienstleistung.

MAD-Gesetz

Der Militärische Abschirmdienst (MAD) darf auf Antrag Telekommunikationsdaten, also Informationen zu Verbindungsdaten, Zugangsdaten, Kartennummern, Standortdaten, anrufende und angerufene Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung und Art der Telekommunikationsdienstleistung einholen, speichern und weitergeben.

BND-Gesetz

Der Bundesnachrichtendienst (BND) darf im Einzelfall bei Banken und Finanzunternehmen Informationen über Konten, Kontoinhaber, Berechtigte, Geldbewegungen und Geldanlagen und bei Telekommunikationsunternehmen Informationen zu Verbindungsdaten, Zugangsdaten, Kartennummern, Standortdaten, anrufende und angerufene Anschlüsse, Beginn und Ende der Verbindung und Art der Telekommunikationsdienstleistung einholen, speichern und weitergeben.

Bundesgrenzschutzgesetz

Der Zuständigkeitsbereich des Bundesgrenzschutz wird auf eine Tiefe von 30 Kilometern bei Landesgrenzen und 50 Kilometern bei Seegrenzen erweitert. Das Bundesinnenministerium wird ermächtigt, das entsprechend bezeichnete Gebiet mit Zustimmung des Bundesrates auszudehnen.

Der Bundesgrenzschutz kann zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung an Bord deutscher Luftfahrzeuge eingesetzt werden.

Passgesetz

Der Pass darf neben dem Lichtbild und der Unterschrift weitere biometrische Merkmale von Fingern, Händen oder Gesicht des Passinhabers enthalten. Die Merkmale dürfen in verschlüsselter Form in den Pass eingebracht werden.

Gesetz über Personalausweise

Der Personalausweis darf neben dem Lichtbild und der Unterschrift weitere biometrische Merkmale von Fingern, Händen oder Gesicht des Ausweisinhabers enthalten. Die Merkmale dürfen in verschlüsselter Form in den Personalausweis eingebracht werden.

Vereinsgesetz

Vereine, deren Mitglieder oder Leiter sämtlich oder überwiegend Ausländer sind können unter anderem unter folgenden Voraussetzungen verboten werden:

  • Wenn ihr Zweck oder ihre Tätigkeit die politische Willensbildung in Deutschland, das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern oder von verschiedenen Ausländergruppen, die öffentliche Sicherheit oder öffentliche Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der BRD beeinträchtigt oder gefährdet.
  • Wenn ihr Zweck oder ihre Tätigkeit völkerrechtlichen Verpflichtungen der BRD zuwiderläuft.
  • Wenn ihr Zweck oder ihre Tätigkeit Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer, religiöser oder sonstiger Belange unterstützt, befürwortet oder hervorrufen soll.

Bundeskriminalamtgesetz

Das Bundeskriminalamt darf Daten zur Ergänzung von Sachverhalten oder zum Zweck der Auswertung von nichtöffentlichen und öffentlichen Stellen, von Polizei- und Justizbehörden anderer Staaten und von internationalen Organisationen, die mit der Verfolgung und Verhütung von Straftaten befasst sind, erheben und nachfragen.

Ausländergesetz

Aufenthaltsgenehmigungen werden nach einem einheitlichen Vordruckmuster mit einer Seriennummer und einer Zone für das automatische Lesen erstellt.

Die Aufenthaltsgenehmigung darf neben dem Lichtbild und der Unterschrift weitere biometrische Merkmale von Fingern, Händen oder Gesicht des Inhabers enthalten. Die Merkmale dürfen in verschlüsselter Form in die Aufenthaltsgenehmigung eingebracht werden.

Öffentliche Stellen dürfen die in der Zone für das automatische Lesen gespeicherten Daten zur Erfüllung ihrer gesetzlichen Aufgaben speichern, übermitteln und nutzen.

Zur Bestimmung des Herkunftsstaates von Ausländern darf das gesprochene Wort des Ausländers auf Ton- oder Datenträger aufgezeichnet werden.

Ausländer können ausgewiesen werden, wenn sie falsche Angaben zur Erlangung einer Aufenthaltsgenehmigung oder Duldung gemacht haben oder nicht an den geltenden gesetzlichen Maßnahmen mitgewirkt haben.

Ausländer können ausgewiesen werden, wenn die Annahme gerechtfertigt ist, dass der Ausländer ein Verbrechen gegen den Frieden, ein Kriegsverbrechen oder ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hat, wenn er außerhalb des Gebietes der BRD ein schweres nichtpolitisches Verbrechen begangen hat oder er sich Handlungen hat zuschulden kommen lassen, die den Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

Daten, die im Rahmen eines Visumverfahrens oder des Antrags auf Aufenthaltsgenehmigung erhoben wurden, dürfen an den Bundesnachrichtendienst, das Bundesamt für Verfassungsschutz, den Militärischen Abschirmdienst, das Bundeskriminalamt und das Zollkriminalamt übermittelt werden.

Asylverfahrensgesetz

Zur Bestimmung des Herkunftsstaates und der Identität von Ausländern und zur Zuordnung von Beweismitteln kann das gesprochene Wort von Ausländern außerhalb der förmlichen Anhörung auf Ton- oder Datenträger aufgezeichnet werden.

Sozialgesetzbuch

Gespeicherte Sozialdaten, insbesondere Name, Vorname, Geburtsdatum, Geburtsort, Staats- und Religionsangehörigkeit, frühere und derzeitige Anschrift, derzeitiger oder zukünftiger Aufenthalt, Namen und Anschriften früherer und derzeitiger Arbeitgeber und Informationen über erbrachte oder künftig zu erbringende Geldleistungen können zur Rasterfahndung eingesetzt werden.


Zusammenfassung

Zusammengefasst erweitert das sogenannte Anti-Terror-Gesetz die Befugnisse des Verfassungsschutzes, des Militärischen Abschirmdienstes, des Bundesnachrichtendienstes, des Bundesgrenzschutz und des Bundeskriminalamtes erheblich.

Die Behörden erhalten unterschiedliche Genehmigungen, personenbezogene Daten von Banken, Finanzunternehmen, Postdienstleistern und Telekommunikationsunternehmen zu erheben, zu speichern und weiterzugeben. Darüber hinaus dürfen Sozialdaten zur Rasterfahndung eingesetzt werden.

Der Bundesgrenzschutz kann zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung von Sicherheit und Ordnung an Bord deutscher Luftfahrzeuge eingesetzt werden. Der Zuständigkeitsbereich des Bundesgrenzschutz wird bei Landesgrenzen um 30 und bei Seegrenzen um 50 Kilometer Entfernung zur jeweiligen Grenze erweitert.

Pässe, Personalausweise, Aufenthalts- und Duldungsgenehmigungen werden mit biometrischen Merkmalen und einer Zone zum automatisierten Auslesen von Daten ausgestattet. Öffentliche Stellen dürfen die verschlüsselten Daten auslesen, übermitteln und nutzen.

Sogenannte Ausländervereine dürfen verboten werden, wenn ihre Tätigkeit die politische Willensbildung in Deutschland beeinträchtigt.

Ausländer und Asylbeantragende dürfen außerhalb der förmlichen Anhörungen abgehört werden, um ihre Herkunft und ihre Identität zu ermitteln.

Ausländer können ausgewiesen werden, wenn sie sich Handlungen haben zuschulden kommen lassen, die den Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwiderlaufen.

Das Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz

In das Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wurde eine zeitliche Befristung eingebaut. Bestimmte Teile des Gesetzes wären zum 11. Januar 2007 automatisch wieder in ihre vorherigen Fassungen zurückgefallen.

Um dies zu verhindern, wurde am 5. Januar 2007 das sogenannte Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz erlassen. Dieses zusätzliche Gesetz verlängerte die maßgeblichen Regelungen aus dem ursprünglichen Gesetz um weitere fünf Jahre. Mit dem gestrigen Beschluss des Bundeskabinetts wird das Gesetz nun wiederum um vier weitere Jahre verlängert und behält seine Gültigkeit somit bis zum 11. Januar 2016.

Wichtig in diesem Zusammenhang: Nur ein Teil der Regelungen aus dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus wurde zeitbefristet ausgelegt. Von den hier benannten Änderungen betrifft dies das Bundesverfassungsschutzgesetz, das MAD-Gesetz, das BND-Gesetz und das Bundeskriminalamtgesetz.

Die Änderungen zum Bundesgrenzschutzgesetz, zum Pass- und Personalausweisgesetz, zum Vereinsgesetz, zum Ausländergesetz, zum Asylverfahrensgesetz und zum Sozialgesetzbuch gelten grundsätzlich unbefristet.

Anlässlich der Verhandlungen innerhalb der Regierungskoalition über die Anti-Terror-Gesetze hatte sich die FDP zunächst gegen eine Verlängerung gesperrt. Erst nachdem die Union dem schwächelnden Koalitionspartner Steuererleichterungen ab 2013 in Aussicht gestellt hatte, gab Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ihren Widerstand auf und stimmte der Verlängerung zu.

Öffentlich wurde es in diesem Zusammenhang als Kompromiss dargestellt, dass bestimmte Befugnisse im Rahmen der neuerlichen Verlängerung zurückgestuft wurden. So verzichten die Behörden künftig auf die Anforderung von Daten der Postdienstleister und statten ihre Ermittler nicht mehr grundsätzlich mit Abhörtechnik aus. Beide Maßnahmen waren allerdings in der Praxis ohnehin nicht angewandt worden. Im Gegenzug wurden die Befugnisse in Bezug auf Bank- und Kontodaten und Flugdaten erweitert und vereinfacht.

Warum kompliziert, wenn es auch einfach geht

Auffällig am Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus ist seine komplizierte und unverständliche Konstruktion. Hier werden insgesamt Änderungen an 20 verschiedenen Bundesgesetzen vorgenommen. Der reine Gesetzestext umfasst hierzu 48 eng beschriebene Seiten.

In der Regel erfolgt die Formulierung so, dass sie nur im Zusammenhang mit den Originaltexten der einzelnen geänderten Gesetze verständlich wird.

Beispiel:

Im Artikel 11 des Gesetztes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus heißt es unter Ziffer 14:

§ 78 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 2 wird die Angabe „§ 41 Abs. 2 und 3“ durch die Angabe „§ 41 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3“ ersetzt.

b) Absatz 4 Nr.3 wird wie folgt geändert:

aa) Die Angabe „§ 41 Abs. 3 Satz 2“ wird durch die Angabe „§ 41 Abs. 3 Nr. 3“ ersetzt.

bb) Der Punkt wird durch ein Komma ersetzt und folgende Nummer 4 angefügt:

4. Im Fall des § 41Abs.2 Satz 2 seit der Sprachaufzeichnung sowie im Fall des § 41 Abs. 3 Nr. 5 seit der Visumbeantragung zehn Jahre vergangen sind.

Dass es sich bei dem Passus um die Ausdehnung der Befugnis der Behörden handelt, zur Feststellung der Herkunft und der Identität von Ausländern Tonaufnahmen außerhalb der förmlichen Anhörungen anzufertigen, diese auszuwerten, zu speichern und weiterzugeben – vereinfacht kann man hier auch von der Abhörung privater Unterhaltungen sprechen – wird erst verständlich, wenn man die Originalfassung des geltenden Ausländergesetztes konsultiert.

Es handelt sich hierbei lediglich um ein einziges Beispiel von Hunderten von Einzelbestimmungen und Änderungen, die in gleicher Form erfolgt sind. Es ist mehr als zweifelhaft, dass die verantwortlichen Politiker aus Bundeskabinett, Bundestag und Bundesrat das vollständige Gesetz überhaupt gelesen, geschweige denn anhand der 20 veränderten Originalgesetze nachvollzogen haben.

Ebenso zweifelhaft ist es, ob es dem Bürger zuzumuten ist, sich über einen Zeitraum von vielen Stunden und unter Anwendung juristischer Grundkenntnisse durch ein Gesetzwerk zu arbeiten, in dem so fundamentale Einschränkungen der persönlichen Grund- und Freiheitsrechte beschlossen werden.

Den gleichen Vorwurf muss man auch angesichts der Verlängerungspraxis der sogenannten Anti-Terror-Gesetze erheben. Lediglich ein beschränkter Teil der Verordnungen aus dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrors sind überhaupt zeitbefristet. Mit dem gestrigen Tag wurden diese Bestandteile bereits zum zweiten Mal um Jahre verlängert. Zur Umsetzung der Verlängerung wurde mit dem Begriff „Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz“ ein Wortmonster geschaffen, das innerhalb der Politik und der Bevölkerung endgültig dafür sorgt, dass niemandem mehr bewusst ist, welche Verordnungen hiervon betroffen sind und welche Befugnisse der Behörden, Ämter und Ermittler hierdurch in welcher Form erweitert werden.

Auf Kritik stößt diese Praxis auch bei dem Bundes-Datenschutzbeauftragten Peter Schaar. Zur zweiten Verlängerung des Gesetzes sagte er:

Schon zum zweiten Mal nach dem 11. September 2001 sollen die seinerzeit unter Zeitdruck erlassenen Anti-Terror-Gesetze ohne gründliche, unabhängige Prüfung verlängert werden.

Die Rolle von Otto Schily

Otto Schily war von 1998 bis 2005 Innenminister und gehörte bis 2009 als Abgeordneter der SPD-Fraktion dem deutschen Bundestag an.

Während seiner Amtszeit als Minister sagte Schily im Jahr 1999, dass nur drei Prozent der Menschen, die nach Deutschland wollten asylwürdig seien. Bei 97 Prozent handle es sich um Wirtschaftsflüchtlinge.

Am 31. Mai 2004 war er durch den damaligen US-Botschafter Dan Coats über den Fall des deutschen Staatsbürgers Khaled el-Masri informiert und um Stillschweigen gebeten worden. Khaled el-Masri war 2003 vom CIA nach Afghanistan entführt und gefoltert worden. Im Mai 2004 flog man ihn heimlich zurück und setzte ihn in einem Wald in Albanien aus. Schily behauptete im Rahmen einer Aktuellen Stunde im Bundestag, er habe zu einem Zeitpunkt, wo er hätte eingreifen können, keine Informationen bekommen, die ihn in die Lage versetzt hätten, dafür zu sorgen, dass einem deutschen Staatsbürger kein Leid geschähe.

Im Kabinett Schröder war Otto Schily als Innenminister maßgeblich an der Erarbeitung des Gesetztes zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus beteiligt. Hierbei zeichnete er vor allem für die Änderungen am Pass- und Personalausweisgesetz verantwortlich.

Zur Erinnerung: Das Gesetz sieht die Erhebung und Speicherung von erweiterten biometrischen Merkmalen in einer automatisch auslesbaren Zone der Ausweise vor.

Unmittelbar nach seiner Zeit als Minister wurde Schily Aufsichtsrat und Anteilseigner bei der Firma SAFE ID Solutions AG in Unterhaching. Das Unternehmen war bis zu seiner Insolvenz im März diesen Jahres auf Lösungen zur Personalisierung von Ausweisdokumenten spezialisiert.

Darüber hinaus gehörte Otto Schily bis zum 28. März 2007 dem Aufsichtsrat der byometric systems AG in Mitterfelden an. Seit 2001 beschäftigt sich das Unternehmen mit Lösungen zur Informations- und Zutrittssicherheit auf der Basis von automatisiertem Auslesen von Ausweisen in Kombination mit Iris-Erkennung. Bis heute wirbt die byometric systems AG mit einem Foto von Otto Schily, im Zusammenhang mit der Einführung eines automatisierten Grenzkontrollsystems am Frankfurter Flughafen im Jahr 2004.

Insgesamt kann man sagen, dass die beiden genannten Unternehmen von den Regelungen zum Pass- und Personalausweisgesetz profitiert haben, dass Otto Schily als Innenminister maßgeblich an den betreffenden gesetzlichen Änderungen beteiligt war und dass er nach seiner Zeit als Innenminister in den Aufsichtsräten beider Unternehmen vertreten und an den Geschäftsanteilen der SAFE ID Solution AG beteiligt war.

In einem Interview zu diesem Thema mit Christoph Lütgert, dass von der ARD gestern ausgestrahlt wurde, sagt Schily über sein Engagement in der Wirtschaft: „Ich bin mit mir völlig im Reinen“.

Irrationale Ängste erhöhen die Bereitschaft zum Verzicht auf Bürgerrechte

Die grenzenlose Überwachung und Kontrolle unverdächtiger Bürger in Deutschland und in Europa verfehlt ihre Wirkung auf die tatsächliche Bedrohung durch den internationalen Terrorismus. Weder haben die bisher installierten Systeme die Wahrscheinlichkeit von Terroranschlägen reduziert noch zu ihrer Aufklärung beigetragen.

Es liegt in der Natur des Terrors, dass er Menschen und Staaten stets unerwartet trifft. Terror erzeugt eine Atmosphäre der Bedrohung, trifft willkürlich und ist unberechenbar. Die nachhaltige Bekämpfung des Terrorismus ist nur durch eine Änderung der Umstände, die zum Terrorismus führen, möglich.

Die ausdrückliche Betonung einer terroristischen Gefahr versetzt Regierungen in die Lage, Überwachungs- und Kontrollinstrumente zu installieren, die ohne das Bedrohungspotenzial am Widerstand der Bevölkerung gegen eine Einschränkung ihrer Freiheit und Grundrechte scheitern würden. Hierbei wird die irrationale Angst der Menschen vor Anschlägen, Tod und Zerstörung genutzt, um Mehrheiten für Maßnahmen zu gewinnen, die ohne diese Angst nicht durchsetzbar wären.

Die Durchsetzung der sogenannten Anti-Terror-Gesetze erfolgte unter dem Eindruck der Anschläge vom 11. September 2001 in den USA. Bis heute ist die Bundesregierung, allen voran der Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich, darum bemüht, die angebliche Bedrohung unserer Sicherheit durch den islamistischen Terrorismus gegenüber der Bevölkerung zu betonen.

Ein aktueller Bericht von Europol zählt für das Jahr 2010 in Europa insgesamt 249 terroristische Straftaten. Hiervon hatten lediglich drei (sic!) Vorfälle einen islamistischen Hintergrund. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, nach den tatsächlichen Zielen, die mit der stetigen Verschärfung der staatlichen Kontrolle und Überwachung zulasten der Freiheits-, Bürger- und Grundrechte der Bevölkerung verbunden sind. Diese Frage wird umso drängender, wenn die gesetzlichen Regelungen bei den heutigen Akteuren nicht mit so deutlichen persönlichen Vorteilen verbunden sind, wie bei Friedrichs Amtsvorgänger Otto Schily.

Die abschreckende Wirkung einer allgegenwärtigen Überwachung durch den Staat

Die staatlichen Maßnahmen zur Terrorabwehr erfüllen vor allem einen Zweck: Sie erzeugen in der gesamten Gesellschaft eine Atmosphäre der Überwachung und der Kontrolle. Wer sich kontrolliert fühlt, der übt in Bezug auf öffentliche Äußerungen Zurückhaltung. Die Menschen wissen, dass ihr Kommunikationsverhalten protokolliert wird und entwickeln eine Vorstellung davon, dass jemand aufmerksam mithören kann, wenn sie  sich in ihren Wohnungen, am Telefon, per SMS, per E-Mail oder im Internet äußern.

Eine unbefangene zwischenmenschliche Kommunikation bildet die zwingende Voraussetzung für eine offene, demokratische Gesellschaft.

Staatskritisches Engagement und die Aufmerksamkeit gegenüber Missständen in Staat und Gesellschaft bedingen eine angstfreie Atmosphäre, in der niemand befürchten muss, für seine offene Meinungsäußerung verfolgt oder bestraft zu werden.

Der Preis für die staatlichen Maßnahmen gegen den Terrorismus ist also der Verlust der offenen Bürgergesellschaft. Vor dem Hintergrund der belegten Wirkungslosigkeit von Kontrolle und Überwachung auf die angebliche Gefahr durch den Terrorismus stellt sich insofern die Frage, ob nicht genau diese Entdemokratisierung der Gesellschaft und die zunehmende Reglementierung ihrer Bürger in der Absicht der Befürworter von Law & Order liegt.

Zweitveröffentlichungen bei:

der Freitag
Der Spiegelfechter
Mein Politikblog

15 Kommentare

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15 Antworten zu “Sicherheit statt Freiheit: Hintergründe zum Anti-Terror-Gesetz

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  4. Vielen Dank für diesen großartigen Artikel. Das Erschreckende an dieser Entwicklung hin zu immer mehr Überwachung ist die einfache Tatsache, dass immer noch mit dem 11.Sept. 2001 argumentiert wird, obwohl die tatsächlichen Umstände dieses Ereignisses definitiv vertuscht wurden. Die mutmaßlichen Attentäter waren vor 9/11 im Viser der Geheimdienste, wurden abgehört, es gab zahlreiche Warnungen vor dem Anschlag, denen nicht nachgegangen wurde. Das Aufblähen des „Sicherheitsapparates“ und die begleitenden poltischen Maßnahmen in Deutschland folgen der Expansion des Security Industrial Complex in den USA. Die Geschäftsbeziehungen des Otto Schily sind in diesem Zusammenhang ein gutes Beispiel für die Revolving Doors in der deutschen Politik. Nicht zu vernachlässigen bleibt die Tatsache, dass neben legalen auch illegale Abhörmethoden praktiziert wurden. Dies kann in Deutschland leider nicht ausgeschlossen werden.

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  7. Anonymous

    Noch ein Nachtrag zu Otto Schily. Der hat schon während seiner Amtszeit fleißig den Security-Sektor protegiert.Beispiel:die sogenannte Public Private Partnership mit Secunet, die ich in meinem Blog ausführlich beschrieben habe.Secunet, Gewinner des Big Brother Awards, Sicherheitspartner der BRD und Mitglied des eingetragenen Vereins ITSMIG profitiert überwiegend von Regierungsaufträgen (ELSTER, De-Mail,digitale Lesegeräte für elektronische Ausweisdokumente, SINA-Komponenten für Bundeswehr/ NATO und Internet-Provider).
    „Die von secunet entwickelte Sichere Inter-Netzwerk-Architektur SINA konnte, gemeinsam mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), vor allem im staatlichen Umfeld gut positioniert werden. SINA ist z. B. im Informationsverbund der Bundesverwaltung (IVBV), der sämtliche Bundesbehör-den vernetzen wird, als Sicherheitstechnologie gesetzt. Damit bleibt SINA, wie von Bundesinnenminister Otto Schily auf der CeBIT 2003 betont, eine ausgesprochen erfolgreiche Public Private Partnership. Konsequenterweise unterzeichneten Otto Schily und Dr. Rainer Baumgart,
    Vorstandsvorsitzender von secunet, auf der CeBIT 2004 ein Memorandum of Understanding für eine Sicherheitspartnerschaft zwischen dem Bundesinnenministerium und secunet, das die Basis für die Zusammenarbeit weiter festigt.“ (www.itseccity.com)
    Lesenswerter Artikel zu secunet im Artikel „das Anti-Revolutions-Paket“ von Nils Metzger.

    Gruss,
    Bob

  8. Noch ein letztes.Du schreibst:“Die staatlichen Maßnahmen erzeugen in der gesamten Gesellschaft eine Atmosphäre der Überwachung und der Kontrolle. Wer sich kontrolliert fühlt, der übt in Bezug auf öffentliche Äußerungen Zurückhaltung.“ Das sehe ich genauso. Ähnlich formuliert hat das heute auch Glenn Greenwald in Bezug auf drakonische Strafen und Verfolgung von Whistleblowern. Greenwald skiziert den ausufernden Überwachungsstaat in den USA anhand diverser Beispiel:
    „This year, the Obama administration began demanding greater power to obtain Internet records without a court order.Meanwhile, the Chairwoman of the DNC, Rep. Debbie Wasserman-Schultz, is sponsoring a truly pernicious bill that would force Internet providers „to keep logs of their customers’ activities for one year.“ And a whole slew of sleazy, revolving-door functionaries from the public/private consortium that is the National Security State — epitomized by former Bush DNI and current Booz Allen executive Adm. Michael McConnell — are expoiting fear-mongering hysteria over cyber-attacks to justify incredibly dangerous (and profitable) Internet controls. As The Washington Post’s Dana Priest and William Arkin reported in their „Top Secret America“ series last year: „Every day, collection systems at the National Security Agency intercept and store 1.7 billion e-mails, phone calls and other types of communications.“ That is a sprawling, out-of-control Surveillance State.“

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  11. Guten Tag

    ja, der Schily ist zumindest ein Edelgangster. Kurz etwas Psychologisches: ich habe dies kürzlich gegenüber einer Dame in einem Lesekreis geäussert, sie war entrüstet, hatte sie doch eben eine hübsche Biographie
    über Schily gelesen! Nun, der Schily hat Beziehungen zur Anthro-Szene, ich weiss nicht wie eng, (ich auch – mit kritischer Distanz).
    Also da spielt so etwas wie einst (sicher noch einigen bekannt), ich meine in der Eisenhower-Zeit, als einer
    laut dachte „Aber der Battista ist doch ein Schweinehund“, „Ja, aber er ist unser Schweinehund“. Dies nur nebenbei, vielleicht etwas „off Topic“.

    Allen kritischen Geistern einen schönen Tag noch und

    freundliche Grüsse

    Ruedi

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  14. 99%ter

    haha, wie geil ist das denn: die zensurbehörde hat wieder einmal unter dem deckmäntelchen der urheberrechte nicht nur den film über schilys ego verhindert, sondern gleich das ganze youtubekonto gelöscht… wann werde ich (aus)gelöscht? 🙂

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