ZDF heute: Mit der Wirtschaft lebt man besser

1.11.2011 – Heute haben sich zum G-20 Auftakt Tausende Demonstranten in Nizza versammelt, um gegen Finanzmarkt-Oligarchie, Demokratie-Abbau und Sozialkürzungen zu protestieren. In Kiew demonstrierten Liquidatoren vor dem Parlament gegen Sparbeschlüsse der Regierung. Die UNESCO hat Palästina als Vollmitglied anerkannt. In Syrien kam es zu heftigen Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Regierungstruppen.

Wichtige Themen für eine Nachrichtensendung – so sollte man eigentlich meinen. Die Redakteure der 19 Uhr Ausgabe der ZDF heute Sendung sahen das scheinbar anders.

Hier berichtete man stattdessen über attraktive Rabatte beim Autokauf, über eine Studie der „Stiftung Lesen“ und über die deutsche Beteiligung an einem chinesischen Weltraumprojekt. Während die Zuschauer in Bezug auf wichtige Themen uninformiert blieben, profitieren Wirtschaftsverbände und Unternehmen deutlich von der öffentlich-rechtlichen Werbung.

Zu viel Demokratie ist unverantwortlich

Vollständig konnte sich auch die heute-Redaktion der Tagespolitik nicht verschließen. Erstes Thema in der Sendung war von daher die Ankündigung des griechischen Regierungschefs Papandreou, die Bevölkerung per Volksabstimmung über ihre Meinung zur „Euro-Rettung“ und „Schuldenschnitt“ zu befragen.

Der Tenor der diesbezüglichen Beiträge: Unverantwortlich viel Demokratie, sinkende Börsenkurse, empörte Politiker und eine Gefährdung der Stabilität Europas. Kein Wort davon, dass es sich bei dem Referendum um ein demokratisches Grundrecht handelt. Kein Wort über die bedrückenden Lebensverhältnisse von immer mehr Menschen in Griechenland.

Nach so viel anstrengender Kost gönnt heute seinen Zuschauern eine Erholung. Die restlichen Themen der Nachrichtensendung befassen sich mit Rabatten auf den Neuwagenkauf, mit einer Studie der wirtschaftsnahen „Stiftung Lesen“ und mit der deutschen Beteiligung an dem chinesischen Raumfahrtprojekt „Shenzhou 8“.

Neuwagen kaufen

Aus dem Munde des Duisburger „Auto-Papstes“ Ferdinand Dudenhöffer erfährt man, dass sich beim Neuwagenkauf bis zu 30 Prozent sparen lassen. Unerwähnt in diesem Zusammenhang bleibt allerdings die Verbindung zwischen dem bekannten Professor der Universität Duisburg-Essen und der BDW Automotive GmbH. Das Unternehmen unterstützt weltweit Automobilhersteller bei der Erschließung neuer Märkte. Stattdessen schwärmen drei Passanten von den unglaublichen Einsparungsmöglichkeiten.

Eine wertvolle Information für Menschen, die über den Kauf eines Autos zumindest nachdenken können. Für diejenigen, die sich selbst das Ticket für den öffentlichen Nahverkehr nicht leisten können, eher unerheblich.

Bücher kaufen

Weiter geht es mit einer aktuellen Studie der „Stiftung Lesen“. Herausgefunden wurde, dass häusliches Vorlesen das Potenzial von Kindern erhöht. Ist diese Erkenntnis auch nicht neu, so bietet sie doch den perfekten Rahmen, um über die Stiftung zu berichten. Nach eigenen Angaben versteht sich diese als „Plattform für die Verbindung von Wirtschaftsunternehmen mit modernen Formen der Leseförderung“. Noch im Mai diesen Jahres hatte das Magazin Report darüber berichtet, dass die Stiftung Lesen Unternehmen die Möglichkeit bietet, durch werbliches Unterrichtsmaterial Werbung an Schulen zu platzieren.

Ein Blick auf die Studie zeigt übrigens, dass diese von der deutschen Bahn AG und der ZEIT gefördert wurde. Da die Stiftung sich vor allem darum bemüht, den Absatz von Büchern, Zeitschriften und Zeitungen in Deutschland zu stärken, kann auch dieser heute-Bericht unter „Werbung“ abgehakt werden.

Rüstung verkaufen

Kurz bevor es nun zu Sportnachrichten und Wetter geht, folgt ein weiteres Thema: Die deutsche Beteiligung an dem chinesischen Raumfahrtprojekt „Shenzhou 8“. Bei dem 17-tägigen Flug kommt ein Forschungsapparat zum Einsatz, der unter dem Namen „Simbox“ von der EADS Tochtergesellschaft EADS Astrium entwickelt wurde. Im Bericht klingt das Ganze nach einer fruchtbaren Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern und Forschern. Weder die privatwirtschaftliche Rolle der EADS noch die militärischen Potenziale des chinesischen Raumfahrtprojektes werden erwähnt.

Bei EADS handelt es sich nicht nur um Europas größten Luft- und Raumfahrt, sondern auch um den zweitgrößten Rüstungskonzern.

In den heute-Nachrichten des ZDF wird unverhohlen und in epischer Breite für die Automobilindustrie, die Medienwirtschaft und die Rüstungsbranche geworben. Bedeutende Themen des politischen Tagesgeschehens werden dafür ausgespart.

Wenn ein öffentlich-rechtlicher und gebührenfinanzierter Sender in so eklatanter Weise gegen seinen Bildungsauftrag verstößt und sich damit zum unkritischen Erfüllungsgehilfen der Wirtschaft macht, dann sollten die Zuschauer hieraus Konsequenzen ziehen. Schließlich kann man einfach umschalten, denn auch andere Sender bringen Nachrichten.

Georg Schramm über öffentlich-rechtliche Fernsehsender:

Es sind die reichsten gebührenfinanzierten Sender der Erde und die kriegen das Geld für den Verfassungsauftrag, der ihnen sagt, dass Aufklärung und politische Bildung damit betrieben werden. Die hätten die Pflicht den Politikern den Senkel zu stellen.

Jens Jessen in der ZEIT vom 29.07.2010: „Vom Volk bezahlte Verblödung

Von dem ursprünglichen Volksbildungs- und Aufklärungsauftrag, der staatsbürgerlichen und kulturellen Verantwortung der Sender wird nur noch ironisch gesprochen oder um Absurditäten wie den Theaterkanal zu begründen.

 

26 Kommentare

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26 Antworten zu “ZDF heute: Mit der Wirtschaft lebt man besser

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  2. Walter West

    Und gestern im Kino sah ich allen Ernstes einen Werbespot der Öffentlich-Rechtlichen, in welchem sie sich als UNABHÄNGIG darstellen!! Welch ein Hohn, auch in Bezug auf den Parteieneinfluss.

  3. Anonymous

    Eine fast perfekte Sendung! Lediglich Petra Gerster müßte noch gegen Nadine Schön (vgl. http://www.youtube.com/watch?v=2BQ25cm1AsM) ausgetauscht werden, dann würde ich jubilieren.

  4. Leider kann man nicht einfach aufhören, die Zwangs-Gebühren zu bezahlen! Dieser Umstand allein ist eine Frechheit! Ich MUSS die Gebühren zahlen, selbst wenn ich nie diese (oder irgend welche anderen) Sender sehe oder höre. Allein der Besitz eines (Radio- und/oder Fernseh-)Apparates verpflichtet zum Zahlen. Jetzt soll ja bereits der Besitz eines PC die Zwangsgebühr auslösen! Man kann das auch staatlich sanktionierten Raub nennen.

    Das ist als würde ich als Mörder bestraft, weil ich ein Messer in der Küche habe.

  5. Walter West

    Mit Verlaub, Frau Calderin, das ist doch ein etwas überzogener Vergleich.

  6. Was in Stuttgart passiert, geht auch auf keine Kuhhaut mehr:
    http://www.bei-abriss-aufstand.de/2011/10/31/container-zellen-bei-stuttgart-21swr/

    Ein paar ältere Damen aus der Stadt sagten, dass diese Nachricht ganz ungute Erinnerungen in ihnen weckten und sie niemals gedacht hätten, dass wir wieder ähnliche Zeiten bekommen.

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  9. Rosalinde Linde

    nachrichten sind dazu gedacht , die meinung der bürger zu manipulieren….und das meiner meinung nach auf allen sendern.
    meiner meinung nach muss man da sowieso immer ZWISCHEN den zeilen hören und alle meldungen hinterfragen.

    und ironisch meine ich hier mal, dass es für viele wichtig ist, autos jetzt günstig zu kaufen…bevor ihr geld ganz und gar den bach runter geht.und somit gehört diese meldung wohl auch in die heute-sendung…schließlich bezahlt man doch dafür gebühren, oder??

  10. daweed

    früher konnte man bei Musik-Sendern noch 5 Minuten vorher abstimmen, welcher clip gezeigt wird.
    natürlich will keiner Musik-Clips in den Nachrichten sehen, aber eine gewisse Art der Mitbestimmung wäre heutzutage „vielleicht“ angebracht und vor allem möglich…?

    Natürlich möchten die öffentlich-schlechtigen nicht auf das Niveau von VIVA und MTV sinken.
    Aber dazu bräuchte man erstmal eins.

    Man könnte ja mit der Abschaffung der privaten! Talkshows anfangen. Auch so ein Thema was nicht in gebührenfinanziertes Fernsehen gehört sind Beiträge der Privat-Produzenten.

    Ja, da liegt vieles im Argen, guter Artikel.

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  12. egal

    Irgendeine sowjetische Schriftstellerin, Name fällt mir gerade nicht ein, war 1924 zur Kur am Schwarzen Meer, wo sie von ihrer panischen Mutter angerufen wurde: „Kind, komm sofort zurück nach Moskau.“ Grund für die Panik. In der Prawda war auf Seite 1 ein Artikel über die sowjetisch-georgische Völkerfreundschaft erschienen. Die Schriftstellerin reiste sofort ab. Wenige Tage später brach der Augustaufstand aus.

    Hier hat die Prawda zuverlässig informiert. Ähnliches höre ich von älteren Bekannten auch immer wieder über das Neue Deutschland. Zum Medienkonsum gehört Medienkompetenz. Sie kann nicht dadurch ersetzt werden, dass heute vom politischen Standpunkt Jakob Jungs berichtet.
    Der Lesekompetenzbeitrag ist eine zuverlässige Wasserstandmeldung über den Einfluss von Bertelsmann, Kollegen und der entsprechenden Ideologie. Die Autorabattmeldung berichtet über die wirtschaftliche Lage. Die Neuzulassungen von Autos der Kompakt- und unteren Mittelklasse gehen seit Jahren zurück. Angeblich sind nach heute in diesem Segment die Preisnachlässe besonders hoch. Folglich ist das Einkommen der beiden einkommensschwächsten Quintile nach wie vor nicht gestiegen, folglich geht die Autoindustrie von einem Konjunktureinbruch aus, folglich erwarten SUV-Käufer keinen Anstieg der Benzinpreise, folglich hat nicht nur die Finanz-, sondern auch die Autoindustrie als Realwirtschaft politischen Einfluss, der sich in der ÖRR-Berichterstattung niederschlägt.

    Ich bin mit dem ZDF eigentlich immer gut gefahren.

  13. J. S.

    Die Empörung war damals auch groß, als das Ergebnis des Referendums in Irland zum Lissabon-Vertrag nicht der Meinung der EU-Politiker entsprach. Ich habe da noch einige Aussagen deutscher Politiker im Gedächtnis, die ziemlich absurd waren. Demokratie scheint nicht so wirklich gewollt zu sein.
    Zum Glück für diese Politiker wurde ein zweites Referendum durchgeführt. Hoch lebe die Demokratie!

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  15. Anonymous

    Liefen die Beiträge tatsächlich in dieser Reihenfolge? Gemäß http://www.zdf.de/ZDFmediathek/beitrag/video/1481128/ZDF-heute-Sendung-vom-1.-November-2011#/beitrag/video/1481128/ZDF-heute-Sendung-vom-1.-November-2011 folgte nämlich auf Griechenland die Kooperation zw. deutschen und chinesischen Firmen, sodann der Beitrag zu Autorabatten und schließlich die Nachricht über den Nutzen des Vorlesens. Ich frage nur, da Ihre Kritik dann noch ausgebaut werden müsste.

    • Danke für den Hinweis. Ich muss sagen, dass Sie mit der Reihenfolge Recht haben könnten. Ich habe den Beitrag unmittelbar nach der Sendung aus dem Kopf geschrieben und zu diesem Zeitpunkt war die 19 Uhr Sendung noch nicht in die Mediathek eingestellt.

      Danke für die Aufmerksamkeit und einen schönen Abend, Jacob Jung

  16. Anonymous

    Keine Ursache. Mir ging es nur darum, dass Sie vor diesem Hintergrund Ihre Kritik noch besser fundieren können. M.E. ist die Art und Weise, wie die Sendung montiert ist, nämlich höchst manipulativ.

  17. Danke JJ.Großartiker Artikel.

    Zum Thema Medienrealitäten im Öffentlich Rechtlichen TV noch ein Tip:

    http://www.dradio.de/download/69581/

    Die Tagesshow oder die Welt in 15 Minuten von Walther Van Rossum

    • Lieber Bob, vielen Dank für diese und vielen Dank für Deine vielen und immer super informativen Anmerkungen und Links. Ich schreibe in den meisten Fällen nichts darunter, weil es dem, was Du schreibst, in der Regel nichts hinzuzufügen gibt. Ich wollte nur mal deutlich machen, dass ich alles, was Du hier notierst, aufmerksam verfolge und mich schon etliche Deiner Beiträge zu neuen Artikeln angeregt haben.

      Also: Herzlichen Dank an dieser Stelle, stellvertretend für die vielen unkommentierten Kommentare.

      LG, Jacob

  18. Hallo Jacob.Danke für das Feedback.Freut mich zu lesen. Ich kann das nur zurückgeben, auch mich inspirieren deine Artikel sehr und da ich weiss, wie zeitraubend diese Schreiberei sein kann, erwarte ich
    sicher keine Antworten auf Kommentare meinerseits;) An dem Tag, an dem deine
    Sachen in einem Printmedium erscheinen, werde ich wieder beginnen Zeitung zu lesen, Mir fehlt leider die
    Muße und das Talent zum Schreiben, deswegen verlinke und zitiere ich viel, aber deine Artikel sind stimmig ,mit Pepp geschrieben und immer wieder lesenswert! LG & mach weiter so.

  19. Pingback: Jacobs Woche (31.10. – 05.11.2011) | Jacob Jung Blog

  20. Was mich jetzt interessieren würde als eine, die sich noch nicht so lange mit diesen ganzen Themen beschäftigt ist: wie sah es denn früher aus? Kann man da Unterschiede erkennen, Vergleiche ziehen? Oder hat sich da im Wesentlichen nicht viel verändert?

    • Sehr gute Frage, Rahab. Und schwierig zu beantworten, weil man hier als Beobachter sicher zu einer subjektiven Betrachtung neigt.

      Meine ganz persönliche Empfindung: Früher haben Fernseh-Journalisten nicht „jeden Mist“ ungeprüft „nachgeplappert“. Stattdessen wurde recherchiert, geprüft und kritischer hinterfragt. Im Ergebnis kam dabei dann unter Umständen auch eine eher konservative oder staatstragende Position heraus, die aber immerhin besser begründet war.

      Ein wesentlicher Unterschied ist für mich – deshalb habe ich aus der hier angeführten heute-Sendung einen Beitrag gemacht – besteht darin, dass hier sehr viele, sehr wichtige Themen einfach gefehlt haben. Dafür hätte ich Verständnis, wenn es einfach zu viele wichtige Meldungen gibt. Wenn die Sendezeit aber stattdessen genutzt wird, um für eine sehr kleine Zielgruppe, die sich das leisten kann, Werbung für den Neuwagenkauf zu machen, wenn über die deutsche Beteiligung eines Rüstungskonzerns am chinesischen Raumstationsprojekt berichtet wird, ohne einen Hinweis darauf, dass es sich dabei vor allem um ein militärisches Projekt handelt oder wenn eine Meldung über den Lobbyverband der Verlagsindustrie mit einer „Studie“ begründet wird, deren Ergebnis lautet, dass es für Kinder gut ist, wenn man ihnen vorliest, dann finde ich das mehr als ärgerlich.

      Bei der betreffenden Sendung kamen dann noch Sportnachrichten und der ewig lange Wetterbericht. Kein Wort von den neuen Übergriffen der syrischen Regierungstruppen auf die Demonstranten, kein Wort darüber, dass die russischen „Liquidatoren“ (die damals Tschernobyl „aufräumen“ mussten) in Kiew zu Tausenden gegen Sozialkürzungen auf den Straßen demonstrierten, kein Hinweis darauf, dass die UNESCO Palästina als Vollmitglied anerkannt hat und kein Hinweis auf die Proteste gegen den G 20 Gipfel. Meine subjektive Einschätzung: Früher hätte es über diese Themen zumindest eine Kurzmeldung gegeben. Ich fühle mich da wirklich schlecht informiert.

      LG, Jacob

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