Gottesstaat Deutschland: Die Finanzierung der christlichen Kirchen aus Steuermitteln

02.07.2011 – Die christlichen Kirchen in Deutschland werden Jahr für Jahr mit über 15 Milliarden Euro aus Steuermitteln subventioniert. Hiermit ist nicht die Kirchensteuer gemeint, die zusätzlich mit fast 10 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche schlägt. Auch die Unterstützung sozialer Einrichtungen der katholischen Caritas und der evangelischen Diakonie ist in dem Betrag nicht enthalten. Diese Zuschüsse summieren sich jährlich auf weitere 50 Milliarden Euro.

Von den 15 Milliarden werden stattdessen der Religionsunterricht an den Schulen, die Theologenausbildung an den Universitäten, die Gehälter und Renten von Bischöfen und anderen Würdenträgern oder die Kosten von Kirchentagen und kirchlichen Stiftungen bezahlt.

Obwohl es dem Staat angeblich an Mitteln zur Aufrechterhaltung von Sozial- und Gesundheitssystemen mangelt, die Kommunen nicht mehr in der Lage sind ihre finanziellen Verpflichtungen zu erfüllen und die Staatsverschuldung einen historischen Rekord erreicht hat, werden die uralten Gewohnheitsrechte, auf denen die Subventionspraxis beruht, nicht angetastet. So beziehen die Kirchen einen Großteil ihrer Finanzmittel aus den Steuergeldern von Christen, Muslimen, Juden, Atheisten oder Agnostikern und mehren so ihren ohnehin unermesslichen Reichtum.

Gut 15 Milliarden Euro jährliche Subventionen für die Kirche

Die Zuschüsse des Staates an die Kirche lassen sich in zwei Bereiche teilen: Zum einen handelt es sich um die direkten Subventionen für kirchliche Einrichtungen, Amts- und Würdenträger, Institutionen, Erziehungs- oder Ausbildungsmaßnahmen und zum anderen um den Verzicht des Staates auf bestimmte Einnahmen aufgrund von kirchlichen Sonderrechten.

1. Direkte Subventionen an die christlichen Kirchen

Betrachtet man Subventionen und Zuschüsse im Detail, so springen zunächst die jährlichen Zahlungen der rund 15.000 deutschen Kommunen an die christlichen Kirchen mit einem Volumen von 4 Milliarden Euro und die Kosten für den konfessionellen Religionsunterricht an deutschen Schulen mit 3,5 Milliarden Euro ins Auge.

650 Millionen Euro kostet den Steuerzahler jedes Jahr die Ausbildung der kirchlichen Theologen an staatlichen Universitäten und der Unterhalt für die kirchlichen Fachhochschulen, 830 Millionen werden für Gehälter und Pensionen von Bischöfen, Dignitären, Kanonikern, Domkapitularen und anderen kirchlichen Amts- und Würdenträgern fällig.

240 Millionen Euro investiert der Staat in die Denkmalpflege kirchlicher Gebäude, 80 Millionen werden für die Seelsorge bei Militär und Polizei und in Gefängnissen und Anstalten ausgegeben. Hinzu kommen 200 Millionen für Produktion und Ausstrahlung kirchlicher Sendungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, 190 Millionen für kirchliche Hilfs- und Missionswerke, 20 Millionen für den Erhalt kirchlicher Kultur und 90 Millionen für Orden, Stiftungen und Kirchentage.

2. Steuererleichterungen und Einnahmeverluste

Durch die weitreichende Steuerbefreiung der christlichen Kirchen in Deutschland entgehen dem Staat Einnahmen in Höhe von rund 1,5 Milliarden Euro. Zusätzlich sparen die Kirchen rund eine Milliarde Euro dadurch, dass die Kirchensteuer durch Staat und Arbeitgeber eingetrieben werden.

Letztlich entstehen jährliche Steuerverluste in Höhe von rund 2,79 Milliarden Euro dadurch, dass Steuerpflichtige ihre gezahlte Kirchensteuer in voller Höhe von ihrer Lohn- und Einkommenssteuer abziehen können.

Obwohl rund 40 Prozent der deutschen Bevölkerung keiner der beiden christlichen Kirchen angehören, werden die Subventionen aus den Steuermitteln aller Bürger finanziert. Im Jahr 2008 besuchten gerade einmal 4,4 Millionen Deutsche einen christlichen Gottesdienst. Setzt man diese Zahl mit der Anzahl praktizierender Christen gleich, dann ergibt sich das Bild, dass die Gesamtheit aller Bürger der Bundesrepublik für die Kosten einer kirchlichen Gemeinschaft aufkommt, der lediglich ein Bevölkerungsanteil von 5,3 Prozent aktiv angehört.

Die gesetzlichen Grundlagen der Subventionen an die Kirche

Ein großer Teil der heutigen Subventionspraxis gegenüber den christlichen Kirchen geht auf rechtliche Grundlagen zurück, die über 200 Jahre alt sind. Im Rahmen der Säkularisierung waren kirchliche Fürstentümer enteignet und in den Reichsbesitz überführt worden. Den Kirchen wurden hierfür weitreichende Entschädigungen gewährt, die bis zum heutigen Tage geleistet werden.

Bereits die Weimarer Verfassung vom 11. August 1919 sah im Artikel 138 eine Auflösung der Staatsleistungen an die Kirchen vor. Der entsprechende Artikel wurde in das Grundgesetz übernommen. Da hier zwar eine Aufhebung der Leistungen des Staates an die Kirchen vorgeschrieben ist, allerdings kein Zeitpunkt für die Umsetzung der Vorschrift fixiert wurde, hat sich die entsprechende Subventionspraxis seitdem nicht verändert.

Caritas und Diakonie: Kirchliche Selbstbestimmung statt Arbeitsrecht

Neben den bereits aufgeschlüsselten staatlichen Subventionen an die Kirchen in Höhe von jährlich rund 15 Milliarden Euro und den Einnahmen in Form von Kirchensteuern von rund 10 Milliarden Euro unterstützt der Staat die sozialen Einrichtungen der Kirchen mit bis zu 50 Milliarden Euro pro Jahr.

Krankenhäuser, Pflegeheime, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen die sich in der Trägerschaft der Kirchen befinden, werden mit einem Anteil von mehr als 90 Prozent durch den Staat finanziert. Obwohl die Kirchen, neben ihrem Namen, lediglich einen vergleichsweise kleinen Obolus beisteuern, herrscht dort uneingeschränkt das kirchliche Selbstbestimmungsrecht, während das gesetzliche Arbeitsrecht in den kirchlichen Einrichtungen außer Kraft gesetzt ist.

Den Mitarbeiten in kirchlichen Einrichtungen wird nicht nur die Loyalität gegenüber den jeweiligen Glaubens- und Moralvorstellungen vorgeschrieben. Ihnen steht hier weder ein Betriebsrat, noch eine tariflich geregelte Bezahlung oder ein Streikrecht zu. Ein Verstoß gegen die kirchenrechtliche Loyalitätspflicht rechtfertigt in diesen Einrichtungen eine verhaltensbedingte Kündigung. Dies gilt unter anderem, wenn sich ein Mitarbeiter scheiden lässt und erneut heiratet, aus der Kirche austritt oder öffentlich Abtreibungen befürwortet.

Die Kirchen lassen sich also ihre sozialen Einrichtungen zu mehr als 90 Prozent durch den Steuerzahler finanzieren und beteiligen sich selber nur zu einem geringen Anteil an den Kosten, während sie die Einnahmen gleichzeitig für sich alleine beanspruchen. In den Einrichtungen genießen die kirchlichen Arbeitgeber einen ausgeprägten Schutz vor dem geltenden Arbeitsrecht und errichten dort ungehindert und auf Kosten des Staates eine Arbeitswirklichkeit ohne Kündigungsschutz für die Mitarbeiter, ohne tarifliche Regelungen und ohne die gesetzlich verbrieften Mittel des Arbeitskampfes.

Die Anstellung und der berufliche Aufstieg in den sozialen Einrichtungen der Kirche setzt die Loyalität mit den christlichen Glaubens- und Moralvorstellungen voraus. Einem Verstoß gegen dieses Loyalitätsgebot folgt in der Regel der Verlust des Arbeitsplatzes, ohne dass dem Betroffenen die Rechtsmittel des geltenden deutschen Arbeitsrechts zur Verfügung stehen.

Was bereits nicht hinnehmbar wäre, wenn es sich bei den entsprechenden Einrichtungen tatsächlich um vollständig durch die Kirchen finanzierte Institutionen handeln würde, gerät angesichts der Tatsache, dass die Bürger die Einrichtungen zu mehr als 90 Prozent finanzieren, zur unerträglichen Parodie von Rechtsstaatlichkeit und Arbeitsgerechtigkeit.

Der Deutschlandbesuch des Papstes im September 2011

Papst Benedikt XVI. wird vom 22. bis zum 25. September 2011 Deutschland besuchen. Höhepunkt der Reise ist eine Messe, die das Kirchenoberhaupt am 22. September im Berliner Olympiastadion vor 50.000 Menschen halten will.

Für Diskussionen sorgt derzeit eine Einladung an Ratzinger, am 22. September im deutschen Bundestag zu sprechen. Kritiker sehen in einem solchen Auftritt einen Akt, der dem Neutralitätsgebot zwischen Staat und Kirche widerspricht und lehnen es ab, dem Papst im Parlament eine mediale Plattform zur Verbreitung seiner Glaubensthesen zur Verfügung zu stellen. Weiterhin wird kritisiert, dass Ratzinger als Oberhaupt des Vatikans einen nicht demokratischen Staat vertritt und dass er eine Mitschuld an der Unterdrückung, Ausbeutung und Stigmatisierung von Millionen Menschen trägt.

Befürworter der Ansprache des Papstes sehen in dem Auftritt eine „Sternstunde des Parlaments“ (Wolfgang Bosbach, CDU) und freuen sich auf den Papst, der „als Mann des Friedens weltweit Achtung genießt“ (Johannes Singhammer, CSU).

Unabhängig davon, wie man der Rede von Ratzinger im deutschen Bundestag gegenüber steht, kann sein Besuch einen geeigneten Anlass bieten, in Berlin gegen die staatliche Subventionspraxis gegenüber den Kirchen und das mittelalterlich anmutende Arbeitsrecht in den staatlich finanzierten Sozialeinrichtungen der Kirche zu demonstrieren.

28 Kommentare

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28 Antworten zu “Gottesstaat Deutschland: Die Finanzierung der christlichen Kirchen aus Steuermitteln

  1. paulpic

    Wieder einmal ein vorzüglicher Artikel – vielen Dank! Zum Schluss allerdings wird es etwas dünn. Der Bürger darf demonstrieren. Dankeschön. Das wird niemanden beeindrucken. Im übrigen leben wir in einer Demokratie, und Demokratien werden nicht durch Demonstrationen gelenkt. Demonstrationen sind Folklore, Beigabe, etwa so wichtig wie Leserbriefe, Blogs und Stammtische.

    Wer sich über etwas aufregt und das ändern will, muss sich nach einer Partei umsehen, die seine Ziele vertritt, und wenn er eine solche Partei gefunden hat, dann muss er dafür sorgen, dass diese Partei in die Parlamente und an die Macht kommt. Erst dann wird sich etwas ändern.

    Ich zitiere aus http://www.ddp-partei.de/werte.html#6._Trennung_von_Staat_und:

    »Seit ihrer Gründung 1918 steht die ddp für die Trennung von Staat und Kirchen. Wir respektieren alle Glaubensrichtungen und diskriminieren niemanden. Wer niemanden diskriminieren will, darf auch niemanden privilegieren. Daher schaffen wir alle Privilegien einzelner Glaubensgemeinschaften ab.

    Alte Gefälligkeits-Verträge von Regierungsparteien, die Glaubensgemeinschaften außerhalb des Grundgesetzes Sonderrechte einräumen, sind zu kündigen. Glaubensgemeinschaften, die Art. 1-19 GG verletzen, erhalten zudem keinerlei finanzielle Zuwendungen durch den Staat und keinerlei Entfaltungsmöglichkeiten im Bildungssystem und in öffentlich-rechtlichen Medien.«

    Auch der Rest des kurzen knappen Statements der Deutschen Demokratischen Partei ddp zu diesem Thema ist lesenswert. Ich rufe daher alle diejenigen, die sich durch diesen Artikel angesprochen fühlen und etwas gegen diese Zustände tun möchten, dazu auf, sich mit der ddp zu beschäftigen, sich zu engagieren und dafür zu sorgen, dass diese oder eine andere Partei, die die unheilvolle Verknüpfung von Staat und Kirche in unserem Lande beenden möchte, an die Macht kommt.

    Wer außerdem noch demonstrieren möchte, darf das natürlich herzlich gerne tun, meinen Segen hat er.

  2. Tja, somit unterscheidet die Kirchen doch nichts von den Banken und anderen! Kosten werden sozialisiert und Einnahmen privatisiert. Dieses Prinzip ist doch für den jeweiligen Initiator eine tolle Sache und daher sind ja auch alle gemeinsam darum bemüht das dies bis ans Ende der Welt so fortgeführt werden kann. Und seit Anbeginn haben Kirche und Staat dieses gemeinschaftliche Prinzip der Ausbeutung und Knechtung der Völker praktiziert und immer perphidere Methoden zu dessen Ausbau entwickelt und um die Welt getragen. Diesem gesamten Treiben sollte schnellstmöglich Einhalt geboten werden, aber leider sind anscheinend noch nicht genug aus ihrem tefen von Massenmedien geförderten Schlaf erwacht um endlich eine Wende zu erzwingen.

    • Werner Popken

      „Diesem gesamten Treiben sollte schnellstmöglich Einhalt geboten werden, aber leider sind anscheinend noch nicht genug aus ihrem tefen von Massenmedien geförderten Schlaf erwacht um endlich eine Wende zu erzwingen.“

      Ist das nun ernst gemeint oder einfach nur ein leerer Spruch? Wie sollte dem Einhalt geboten werden? Und wer sollte das tun? Wie sollte was erzwungen werden? Gibt es da einen konkreten Plan? Oder wollen Sie auf die anderen warten, dass die etwas tun?

      Ich bin sehr dafür, dass sich etwas ändert, habe eine sehr konkrete Vorstellung davon, wie das gehen kann,und gebe mir sehr viel Mühe, das zu vermitteln: http://bbm-ddp.tumblr.com

  3. sadhu

    RamRam

    tja … ja das sind wohl die grössten abzocker die es so auf unserer erdenscheibe gibt …

    allerdings würde ich jetzt mal ganz frech behaupten das der begriff Gottesstaat falsch gewählt ist … genauso wie religion ganz schlicht etwas anderes bedeutet …

    heutzutage hat kirche nichts mehr mit religion oder sogar Gott zu tun … es hat noch nie ausgereicht sich ein kreutz umzuhängen oder Gott in die menschheit rein zu prügeln um dadurch das zu erkennen was Gott bedeuten könnte … religion ist eine grundlegende technik das Göttliche eventuell erkennen oder sogar erfahren zu können …

    ein christ ist jemand der dem vorbild Jesus folgt … alles andere ist irgend was anderes …
    es ist auch nicht möglich christliche handlungen so abzuwandeln das sie ins eigene bedürfniskonzept passen …

    schlicht weg … guter artikel … aber die worte Gott und religion sollten wir uns als träger auch der rhetorischen kultur wieder zurückerobern …

    ich empfinde es manches mal …. in meinen schwachen stunden … als bodenlose frechheit wenn die konzernchristen sich anmassen über religion oder sogar Gott in dieser wissenden und herablassenden art den rahmen für alle anderen festzulegen …

    religion passiert gerade an allen ecken und enden dieser welt … ob in ägypten syrien oder griechenland … die menschen erkennen ohne ritual ihr Göttliches sein und erheben einen anspruch darauf …
    und das find ich echt gut …

  4. Peter

    Die Farben der Hure: Purpur und Scharlach

    Offb. 17, 3: Und er brachte mich im Geist in die Wüste. Und ich sah eine Frau (Gemeinede, Kirche) auf einem scharlachroten Tier (Politische Macht) sitzen, das war voll lästerlicher Namen und hatte sieben Häupter und zehn Hörner. (vgl. Offb. 13, 1; 17, 9.12)

    Offb. 17, 4: Und die Frau (Gemeinede, Kirche) war bekleidet mit PURPUR und SCHARLACH und geschmückt mit Gold und Edelsteinen und Perlen und hatte einen goldenen Becher in der Hand, voll von Gräuel und Unreinheit ihrer Hurerei,

    Offb. 17, 5: und auf ihrer Stirn war geschrieben ein Name, ein Geheimnis: Das große Babylon, die Mutter der Hurerei und aller Gräuel auf Erden. (Ratzinger sagte selbst: Die katholische Kirche sei „die einzige Kirche Christi“ und die „Mutter aller Teilkirchen“)

    Und ich (Anm.: Johannes, der Schreiber der Offenbarung Jesu) sah die Frau (Gemeinede, Kirche), betrunken von dem Blut der Heiligen und von dem Blut der Zeugen Jesu. Und ich wunderte mich sehr, als ich sie sah.

    Warum wunderte sich Johannes so sehr? Weil schon er, zu seiner Zeit, von der Hure Babylon, von der römisch-katholischen Kirche verfolgt wurde. Und weil er damit wußte, dass sich bis zum Ende, bis zur Wiederkunft Jesu, daran nichts ändern wird.

    Die römisch-katholische Kirche ist – geschichtlich bewiesen – die große Hure Babylon, wie sie Jesus Christus in seiner Offenbarung beschrieben hat.

  5. Lux

    …Bischöfen und anderen Würdenträgern…

    Nichts neues, aber wer von denen trägt Würde?
    Sicherlich ist das eine Definitionsfrage. Aber ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, daß ich keinerlei Würde dabei erkennen kann, wenn alte Männer mit verstaubten Frauenkleidern herumspazieren und an absoluten Schwachsinn glauben.
    Nennt sie meinetwegen Kuttenträger, aber beleidigt keine Menschen mit Würde.
    Es zwingt einem niemand, deren Vokabular zu benutzen. Ganz im Gegenteil. Somit übernimmt man eine gewisse Mitverantwortung für deren parasitären Fortbestand.

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  8. Chryselers

    Weil ich in der Freitags-Community keine Antwort bekommen habe:

    Eine Nachfrage: Wie kommen die Zahlen zum Religionsunterricht an staatlichen Schulen zusammen?

    Zur Erläuterung der Frage:

    Angenommen, die Zahl stimmt (3,5 Mrd. Euronen pro Jahr), dann könnte man damit das ganze Schulwesen Niedersachsens fast ein Jahr bepielen, der Etat des Kultusministeriums dort hat 4 Mrd. So besonders plausibel ist das nicht. Das sieht nach seiner sehr großzügigen Rundung nach oben aus.

    Und zusätzlich: In allen Bundesländern, die Religionsunterricht haben, können Schüler mindestens oberhalb der Grundschule mW zwischen Religion und einem Alternativfach, das Ethik oder Philosophie heißt, wählen. Eine Ersparnis gäbe es also nur, wenn man dieses Fach auch abschafft. Will man das nicht, dann bleiben die Kosten schlichtweg dieselben. Allerdings wäre die Wahlmöglichkeit der Schüler eingeschränkt. Oder ist das egal?

    • Lux

      Egal ist das nicht. Die Fächer „Ethik“ oder „Philosophie“ unterscheiden sich in der Schulpraxis nur unwesentlich vom Religionsunterricht. Dies gilt ganz besonders für das Fach „Ethik“. Das ist nämlich der blanke Etikettenschwindel, „Ethik“ ist sozusagen getarnter Religionsunterricht. Das konnte man deutlich bei der Berliner Volksabstimmung sehen, als die Berliner aufgefordert waren, sich zwischen „Pest“ und „Cholera“ zu entscheiden. Erfreulicherweise hatte die Vielzahl der Berliner diesen Etikettenschwindel durchschaut und enthielten sich der Abstimmung.
      Über den „Philosophie- Unterricht“ kann ich weniger beitragen. Doch auf Nachfrage bei Schülern, die diesen Unterricht hinter sich gebracht hatten, kam Bezeichnendes zu Tage. Nietzsche kannten sie mehr oder weniger nur vom Namen her. Der Name Epikur war ihnen völlig unbekannt, aber auch Christengegner und Philosophen wie Marc Aurel wurden nicht einmal erwähnt. Ebenso blieben Konfuzius oder Lao Tse auf der Strecke. Dafür nahmen sie aber christliche Pseudophilosophen wie den Plagiator Thomas von Aquin durch. So schließen sich die Kreise.

      • Chryselers

        Ein Blick in die Schulbücher für den Religionsunterricht und für den Ethikunterricht – hier etwa das weit verbreitete „Ethik“-Buch aus dem Cornelsen-Verlag – kann das überhaupt nicht bestätigen, dass Ethik/Philosophie in der Schule nur eine andere Fassung von Religion sei. (Wenn es auch mal so geplant gewesen sein mag.) Oder das auch dort erschienene Buch für die gym. Oberstufe „Zugänge zur Philosophie“. Lehrpläne und Lehrinhalte sind weitgehend verschieden. Allerdings: Solcher Ethik/Philosphie-Unterricht ist nicht als Anti-Christentums-Unterricht konzipiert. Sondern enthält nur kurze religionskundliche Strecken. Und übt sonst die Orientierung im Denken an verschiedensten Gegenständen/Problemen ein. Religionskritische Texte sind übrigens in Religionsschulbüchern für die Oberstufe wesentlich stärker zu finden als in Philosophie-Büchern, eine Folge des Begründungsbedarfes für Religion.

        Wo die 3,5 Mrd Euro herkommen, das ist hier übrigens immer noch nicht klar. Man kann auf den Gedanken kommen, der Blogger hätt die irgendwo abgeschrieben, wo irgendeiner sie gegrifffen hat. Im Freitags-Blog ist wege sowas schon der Vorwurf der Manipulation erhoben worden, bislang ist da zumindest der Verdacht der Schlampigkeit.

      • Lux

        Solcher Ethik/Philosphie-Unterricht ist nicht als Anti-Christentums-Unterricht konzipiert.

        Das müssen sie mir nicht erzählen. Das ist Usus in einem Land, in dem das Oberhaupt der größten Christensekte im Bundestag sprechen darf, Jahr für Jahr Milliarden in diese systemtragenden Großsekten gepumpt werden, sich in den Aufsichtsräten der „Vierten Gewalt“ (Rundfunkanstalten) 80% dieser Gattung herumtreiben und selbst das Staatsoberhaupt (Bundespräsident) ein bekennender Kreationist (fundamentalistischer Christ) ist. Benötigen sie noch mehr Denkanstöße?

        Den Rest erspare ich mir. Worte verbinden ohnehin nur dort, wo die Wellenlänge übereinstimmt.

      • Lux

        Nachtrag: Auch ich stelle die Frage: Auf was wollen sie hinaus?
        Selbst, wenn der Staat diesen Unterricht mit 3,50 Euro alimentieren würde, dann wäre es immer noch anfechtbar.

    • Verdacht der Schlampigkeit? Vorwurf der Manipulation? Netter Versuch 😀

      In der Freitags Community habe ich auf entsprechende Nachfrage meine Quellen bereits am 3. Juli, also vor drei Tagen veröffentlicht. Hier jetzt gerne noch einmal, damit Du nicht lange suchen musst:

      Carsten Frerk
      Finanzen und Vermögen der Kirchen in Deutschland
      Alibri Verlag, 2002

      Carsten Frerk
      Violettbuch Kirchenfinanzen: Wie der Staat die Kirchen finanziert
      Alibri Verlag, 2010

      Spiegel
      Spardebatte: Staat zahlt 442 Millionen Euro für Kirchengehälter
      http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,699422,00.html
      Spiegel Online, 2010

      Panorama
      Alte Pfründe – Steuermillionen für die Kirchen
      http://www.youtube.com/watch?v=nEwsKKOW0-E
      NDR Sendung vom: 04.06.09

      Dieter Potzel
      Internetseite zum Thema Kirchenfinanzen
      stop-kirchensubventionen.de

      Humanistischen Union (HU) und der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs)
      Informationsportal Staatsleistungen
      http://www.staatsleistungen.de

      Gruss
      Jacob

      • Chryselers

        Ich will nicht suchen.

        Die Sache ist doch ganz einfach: 3,5 Mrd Euro allein für Rel in den 14 Bundesländern, die das Fach haben, ist unplausibel, weil das fast die Summe ist, für man in HH zwei Jahre den gesamten Schulbetrieb, alle Fächer, alle Schulen, aller Lehrer plus Behörde und Lehrerausbildung 2. Phase + Schulgebäude zahlen kann.

        Die Zahl 3,5 stammt nicht von mir, ich möchte jetzt wenigstens die Rechenmethode wissen. Oder soll ich diese Zahl jetzt gläubisch – sorry – annehmen, ohne ihren Verkünder befragen zu dürfen?

        Ich finde, dass man das so nicht machen kann.

      • Sie haben danach gefragt, wie die Zahlen zu den Kosten des Religionsunterrichts zustande kommen. Ich habe Ihnen daraufhin meine Quellen genannt. Sie haben dann geschrieben, dass Sie nicht in den Quellen suchen wollen und meine Methode mit „Ich finde, dass man das so nicht machen kann“ kommentiert.

        Ich frage mich allmählich, was Sie eigentlich wollen?

        Die Kosten für den Religionsunterricht umfassen die Gehälter der Religionslehrer, das Unterrichtsmaterial, die Fortbildungskosten der Lehrer und unter anderem auch Gehälter für Ordensmitglieder, die selber von der Kirche nicht bezahlt werden, durch den Staat ein Lehrergehalt erhalten und dieses an die Kirche abgeben.

        Sie begründen Ihre Zweifel an der Plausibilität damit, dass die Kosten für den Schulbetrieb im winzigen Bundesland Hamburg auf zwei Jahre gerechnet insgesamt niedriger seien, als die Kosten für den Religionsunterricht in ganz Deutschland.

  9. Lux

    Nachtrag:
    Die Auswahlmöglichkeit ist dann doch nicht das, was sie oberflächlich betrachtet vorzugeben scheint.
    Stellen sie sich vor, eine vegetarische ( Gleichnis für säkular) Schulspeisung würde im Angebot nur drei Gerichte haben. Eisbein (Religionsunterricht), Bratwurst (Ethikunterricht) und Linsensuppe mit Speck (Philosophieunterricht).

  10. Chryselers

    Und die Kosten sind fast soviel, wie das ganze Land Niedersachsen für seine Schulen in einem Jahr braucht. Hier http://stop-kirchensubventionen.de/religionsunterricht.html hab ich diese Zahl gefunden, ohne jede weitere Erläuterung.

    Und was hat man da bei den Religionslehrern genommen? Es gibt welche, die haben die Fakultas, unterrichten aber nie, es gibt welche, die haben keine Fakultas, unterrichten es aber, die, die Fakultas haben, unterichten es mal zu 20, mal zu 80 %. Und das ist alles nachgerechnet worden? Jeder einzelne Fall wurde nach seiner Gehaltsgruppe aufaddiert?

    In http://bfg-muenchen.de/files/texts/steuersubventionen_kirche.pdf von Freerk sind es 137203200 Euro für das Jahr 2000, eine Zahl, die nur dann so präzise sein, wenn jeder religionsunterrichtliche Anteil eines Monatsgehaltes jedes einzelnen Lehrers mitgerechnet wurde. Das aber dürfte schon aus datenschutzrechtlichen Gründen völlig unmöglich sein, solche Zahlen rechnen die staatlichen Besoldungsämter weder aus noch reichen sie sie weiter.

    Mir scheint, man darf annehmen, dass die 3,5 Mrd schlicht und einfach erfunden sind. Weil sie so schön klingen.

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  12. kuki

    Entsetzlich schlecht recherchiert, zum größten Teil schlicht falsch. Ne glatte Sechs…

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  15. Ich halte die Zahlungen an die Kirche, die wesentlich umfangreicher sind, als in einem einzelnen Artikel aufgezeigt werden kann, auch für überflüssig und gegen das GG verstoßend. Leider traut sich Keiner, die alten Verträge anzufechten und die Kirche verzichtet natürlich nicht freiwillig auf so viel Geld.

  16. Sehr interessanter Beitrag und viel Disskusionsstoff..;)

    Tja, man lernt eben immer wieder etwas dazu..

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  18. Anonymous

    Gott sei Dank darf ja nun jeder im Internet seine Meinung kundtun. Dennoch sollte man sich aber auch ein wenig darum bemühen, die Fakten richtig darzustellen. Zum Beispiel ist die Kirche trotz dem Recht auf Selbstbestimmung an ein Arbeitsrecht gebunden und kann nicht lassen und tun, was ihr gefällt.
    Der Autor ist m. E. sehr einseitig in seiner Darstellung.

    • Meine Kritik in Sachen kirchliches Selbstbestimmungsrecht ist doch recht differenziert formuliert: In den Einrichtungen von Caritas und Diakonie können Mitarbeiter aufgrund ihrer Weltanschauung oder Lebensführung gekündigt werden. Die Mitarbeiter haben kein Streikrecht und Tarifverträge mit den Gewerkschaften werden durch die kirchlichen Träger abgelehnt. Dies alles in Einrichtungen, die zu rund 90 Prozent staatlich finanziert werden. Dass die Kirche „tun und lassen kann, was ihr gefällt“ habe ich in dieser pauschalen Form nicht behauptet.

      Ich bin durchaus offen für Kritik an meinen Auffassungen. Hierzu braucht es allerdings eine argumentative Grundlage. Mir unbegründet vorzuwerfen, meine Darstellung sei „sehr einseitig“ führt nicht zu einer differenzierten Diskussion.

  19. genaue Zahlen unter kirchensteuer.de

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